Sachsen vor der Bundestagswahl:Was sich im Osten verändert hat

Bautzen

Blick über die Dächer von Bautzen, einer sächsischen Mittelstadt ganz im Osten der Republik

(Foto: Thomas Victor)

Von Herbst 2015 an erreichten Hunderttausende Flüchtlinge Deutschland. Besorgte Bürger, vielfach aus Sachsen, zwangen dem Land Debatten auf. Wie hat sich der Diskurs dadurch verschoben?

Von Ulrike Nimz und Cornelius Pollmer

An einem Punkt dieser Reise durch Sachsen geht es plötzlich um das Deutschlandlied. Thomas Witte erklärt, warum es in Ordnung ist, auch die erste Strophe zu singen. Witte, 31, ist ehemaliger Soldat, er lebt in Niederdorf, einer kleinen florierenden Gemeinde im Erzgebirge. Er hat dort einen Heimatverein gegründet, um den Gemeinschaftssinn zu stärken, wie er sagt. Er hat Demos gegen ein Flüchtlingsheim im Ort organisiert. Er hat sich bereiterklärt, über seine politischen Ansichten zu sprechen.

Das Lied sei im Dritten Reich missbraucht worden, erklärt Witte. "Deutschland, Deutschland über alles" - das sei nicht Ausdruck eines territorialen Anspruchs, sondern der aus der damaligen Zeit geborene Wunsch nach Einigkeit. Vor allem sei es nicht verboten, die erste Strophe zu singen. Das alles stimmt. Was auch stimmt: Im Vereinsheim der "Heimattreuen Niederdorf" liegt gut sichtbar ein Blatt Papier in einer Klarsichtfolie mit einer Version des Deutschlandliedes, die sich nicht in Geschichtsbüchern findet. Die ersten Zeilen gehen so:

"Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt / Polen, Türken, Libanesen, alles lebt von unserem Geld / Dann die Perser, Jugoslawen auch die Schwarzen noch dazu / Deutschland, Deutschland, über alles, denn du bist die beste Kuh!"

Ausgedacht hat sich das nicht Thomas Witte, sondern ein 52-jähriger Polizeibeamter aus Mühlheim. Der Text hing Anfang der 90er in diversen Polizeistationen Deutschlands. Der Spiegel berichtete darüber, kurz nach den Brandanschlägen von Mölln, in einer großen Titelgeschichte.

Sind wir wieder so weit?

Von Herbst 2015 an erreichten Hunderttausende Geflüchtete Deutschland, wurden umverteilt aus den Erstaufnahmen in alle möglichen Mittelstädte und Waldwinkel. Besorgte Bürger, zumal jene in Sachsen, zwangen dem Land viele Debatten auf und noch mehr Bilder. Proteste, Gebrüll, zuweilen: Brandstiftung. Im öffentlichen Gedächtnis sind aus dieser Zeit Schlagzeilen geblieben, dazu Ortsmarken.

Wie ist das Klima jetzt in diesen Landstrichen, da es von außen betrachtet wieder ruhig geworden ist - zwei Monate vor der Bundestagswahl?

Diese Reise durch Sachsen führt nach Aue zu Angela Klier, die sich seit der Wende für Flüchtlinge einsetzt und dafür als "Heuchlerin" bezeichnet wird. Sie führt nach Bautzen zu Annalena Schmidt, einer jungen Historikern, die dabei war, als auf dem Bautzener Kornmarkt die Gewalt zwischen Flüchtlingen und Neonazis eskalierte und Bautzen überregional in die Schlagzeilen geriet. Sie führt in die Landespolitik zu Integrations-Ministerin Petra Köpping, die sich um die Sachsen nun genauso kümmern will wie um geflüchtete Menschen. Sie führt vorbei an Spielzeugläden, in denen man nicht nur "Mensch ärgere dich nicht" kaufen kann, sondern auch Verschwörungsliteratur.

Sie führt zu der Frage: Sind die Rechten bürgerlich geworden oder die Bürgerlichen rechts?

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