Die Zurückhaltung in Dresden ist auffällig. Das fängt schon damit an, dass es am Montag beim ersten Dreiergespräch zwischen CDU, SPD und BSW noch ums „Kennenlernen“ geht, nicht ums Sondieren. Dabei kennen sich zwei der drei Parteien in- und auswendig. Martin Dulig (SPD) etwa ist schon seit 2014 Wirtschaftsminister, seit 2017 unter Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), seine Kollegin Petra Köpping war erst Gleichstellungs- und dann Sozialministerin. Die drei gehören einer 15-köpfigen Verhandlungsgruppe an, zu der aber eben auch fünf Vertreter des BSW zählen – und die möchten die anderen nun erst einmal kennenlernen.
Die Wahlen „im Osten“, wie es oft verkürzt heißt, haben die deutsche Parteienlandschaft durcheinandergewirbelt. Mit ähnlichen Ergebnissen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen: Die AfD strotzt vor Kraft, während sich CDU und SPD nur behaupten konnten, indem sie sich von anderen Parteien der Mitte Stimmen „liehen“. Etwa von den Grünen, die dadurch aus dem Parlament geflogen oder so schwach geworden sind, dass eine Neuauflage von Schwarz-Rot-Grün unmöglich ist. Wollen CDU und SPD eine Minderheitsregierung vermeiden, müssen sie in allen drei Bundesländern mit dem BSW koalieren. Mit einer blutjungen Partei also, die aufgrund ihres Wahlerfolgs trotzdem schon forsch auftritt. Etwa indem sie von CDU und SPD einen Kurswechsel im Umgang mit dem Ukrainekrieg verlangt.
Ohne gesichtswahrende Kompromisse wird es kaum weitergehen
Wie kompliziert das zu werden droht, zeigt sich auch in Sachsen. Im Vorfeld des Gesprächs zwischen CDU, SPD und BSW gab es bilaterale Treffen zwischen den Parteien. Nach einem solchen sagte Ministerpräsident Kretschmer zwar der Freien Presse, dass die Vertreter des BSW „sehr seriös und sehr positiv eingestellt sind“. Doch inhaltlich liegt man noch ein Stück weit auseinander. So ging das BSW mit der Forderung in das Dreiergespräch, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, der aufarbeiten soll, ob sich die Regierung in der Corona-Pandemie richtig verhalten hat. Außerdem soll eine Landesregierung, an der sich das BSW beteiligt, eine Bundesratsinitiative einbringen. So möchte das BSW die Bundesregierung unter Druck setzen, sich für eine diplomatische Lösung im Ukrainekrieg einzusetzen. Beiden Forderungen stehen CDU und SPD skeptisch gegenüber.
Es braucht also einen gesichtswahrenden Kompromiss, damit die drei Parteien in Dresden den nächsten Schritt zur Regierungsbildung gehen und zumindest einmal Sondierungsgespräche aufnehmen können. Der Sächsische Landtag konstituiert sich am 1. Oktober.
In Brandenburg wurde erst am Sonntag gewählt, der Sieger SPD hat bereits tags darauf die beiden möglichen Koalitionspartner BSW und CDU für das Ende der Woche zu Sondierungsgesprächen eingeladen. Die Sozialdemokraten hatten die Abstimmung mit ihrem Spitzenkandidaten und Ministerpräsidenten Dietmar Woidke nach einer fulminanten Aufholjagd knapp vor der AfD gewonnen. Doch was nach einem Triumph aussah, droht sich nun ins Gegenteil zu verkehren: Die SPD steht erst einmal ohne Koalitionspartner da. „Wir wissen, dass beide Parteien, die infrage kommen, sich nicht darum reißen“, sagte SPD-Generalsekretär David Kolesnyk am Dienstag.
Eine Patt-Regierung wäre ein Novum in Deutschland
Im nächsten Landtag sind neben der SPD nur noch AfD, BSW sowie die CDU vertreten und alle demokratischen Parteien haben angekündigt, nicht mit den extrem Rechten zusammenzuarbeiten. Rein rechnerisch bleibt der SPD dann nur das BSW für eine Regierungsmehrheit im Parlament, doch es soll auch Gespräche mit den Christdemokraten geben. SPD und CDU hatten in den vergangenen fünf Jahren mitsamt den Grünen eine sogenannte Kenia-Koalition gebildet. Die Grünen sind jedoch nicht mehr im Landtag, gemeinsam mit der CDU hätte die SPD genau 44 von 88 Sitzen. Eine sogenannte Patt-Regierung. Sie wäre ein Novum in Deutschland – und immer wieder auf die Stimmen von BSW-Abgeordneten angewiesen.
Vertreter von BSW und CDU haben angekündigt, sich Gesprächen nicht zu verweigern. Besonders die CDU zeigt jedoch kaum Interesse an einem Bündnis mit der SPD. „Ich sehe uns nicht in der Regierung“, erklärte CDU-Generalsekretär Gordon Hoffmann bereits am Montag. Das BSW wiederum knüpft eine Koalition an Bedingungen, die Ministerpräsident Woidke bisher nicht bereit war zu erfüllen. Dazu gehört ein klares Bekenntnis einer neuen Regierung gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland und für Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. SPD-Generalsekretär Kolesnyk kündigte daher schon einmal vorsorglich an: „Es braucht mehr Gesprächszeit für jeden Schritt“, die Koalitionsverhandlungen würden sich länger hinziehen als gewohnt.
Wie zutreffend Kolesnyks Analyse ist, zeigt sich in Thüringen, wo sogar ein neuer Terminus für die Beziehungsarbeit eingeführt wurde. Am Montagabend sprach Mario Voigt, CDU-Chef von Thüringen, von „Optionsgesprächen“, die in den vergangenen Wochen mit BSW und SPD geführt wurden. Dort sei „nach unserem Empfinden eine vertrauens- und respektvolle, zugewandte und positive Grundlage“ für die nächste Gesprächsrunde geschaffen worden. Anders gesagt, musste man sich in Thüringen erst einmal einig werden, darüber reden zu wollen, dass man miteinander reden will.
Der AfD-Vorschlag für die Präsidentin des Erfurter Landtags gilt als Affront
Thüringens CDU hatte die Wahl am 1. September unter den demokratischen Parteien klar gewonnen. Da die Christdemokraten aber weder mit der AfD noch mit der Linken zusammenarbeiten wollen, bleiben Mario Voigt nur das BSW und die SPD, um Ministerpräsident zu werden. Doch selbst diese Konstellation hätte im Thüringer Landtag keine Mehrheit und wäre auf eine Unterstützung durch die Linke angewiesen. Und damit es dort auch nicht zu leicht wird mit der Regierungsbildung, erklärte Friedrich Merz im fernen Berlin noch kürzlich, er halte eine Koalition mit dem BSW für „sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich“. Wie dann eine zumindest halbwegs stabile Regierung ohne Beteiligung der AfD und der Linken aussehen könnte, behielt der CDU-Chef für sich.
Ein erster Test des Beziehungsstatus zwischen den demokratischen Parteien steht am Donnerstag an. Dann tritt der neue Landtag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Dort soll auch das neue Landtagspräsidium gewählt werden, als stärkste Partei hat die AfD das Vorschlagsrecht für das Amt des Präsidenten. Die Personalie wird als Affront gewertet, denn die AfD schickt Wiebke Muhsal ins Rennen.
Muhsal gehört zum engen Kreis von Fraktionschef Björn Höcke und hat das Parlament schon mehrfach provoziert. Zum Beispiel, als sie vollverschleiert im Plenarsaal auftrat, um gegen den Islam zu agitieren. In der vorletzten Legislatur wurde sie zu 8000 Euro Strafe verurteilt, weil sie den Landtag bei Gehaltszahlungen für eine Mitarbeiterin betrogen hatte.
Um die fragwürdige AfD-Kandidatin zu verhindern, haben CDU und BSW gemeinsam einen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung eingebracht. So wollen sie sicherstellen, dass die AfD das Parlament nicht blockieren kann, wenn deren Kandidatin absehbar keine Mehrheit der Stimmen bekommt. „Ziel unseres Antrags ist ein rechtssicheres Verfahren für die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags“, sagte dazu Tilo Kummer, parlamentarischer Geschäftsführer der BSW-Fraktion. „Wir wollen wochenlanges Gezerre vermeiden und schnell zu einem handlungsfähigen Landtag kommen.“ So könnte der Donnerstag auch zu einem ersten Vertrauensbeweis zwischen CDU und BSW werden. Mit Auswirkungen bis nach Sachsen und Brandenburg.