Süddeutsche Zeitung

Sachsen:"Sprengstoff ist keine Meinungsäußerung, sondern ein Verbrechen"

  • Die Hintergründe der terroristischen Angriffe auf eine Moschee und ein Kongresszentrum sind immer noch unklar.
  • Aufregung gibt es um ein angebliches Bekennerschreiben, das auf einer linken Internetseite am Montag kurzzeitig eingestellte wurde.
  • Die Antifa distanzierte sich von dem Schreiben und erklärte, selbiges nicht verfasst zu haben.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Auf der Tagesordnung des sächsischen Landtages stand am Dienstag eine aktuelle Stunde, sie ging zurück auf einen Antrag der Linksfraktion und führte folgende Forderung im Titel: "Gewalt darf nicht erfolgreich sein!" Ein Abgeordneter der Linken sagte in der Debatte, Sachsen habe ein Naziproblem. Ein Abgeordneter der CDU forderte, jede Form von Extremismus zu bekämpfen. So ging es hin und her und dann war der Tagesordnungspunkt Bautzen erledigt.

Gerade mal zwei Wochen ist es her, dass auf dem Kornmarkt in Bautzen gewaltbereite Geflüchtete und Radikale aneinandergerieten, längst liegt darüber schon wieder der Schatten neuerlicher Ereignisse. Noch vor der gar nicht mehr so aktuellen Stunde zu Bautzen spricht sich der Landtag deswegen über Dresden aus, wo es am späten Montagabend und damit wenige Tage vor den zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit zwei Sprengstoffanschläge gegeben hatte.

Die Hintergründe der terroristischen Angriffe auf eine Moschee und ein Kongresszentrum sind auch am Dienstag noch unklar, doch gibt es neue Aufregung darum. Grund ist ein auf einer linken Internetseite am Montag kurzzeitig eingestelltes Bekennerschreiben. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) erwähnt dieses schon am frühen Morgen in einem Fernsehinterview und erklärt, die Echtheit des Schreibens werde geprüft.

Der umständlich formulierte Eintrag war angeblich von der Antifaschistischen Aktion Dresden eingestellt worden, welche die Anschläge angeblich aus Protest begangen haben wollte, gegen "Standortnationalismus, Partypatriotismus und Nützlichkeitsrassismus" sowie "frauen- und israelfeindliche faschistische und antisemitische Ideologie". Tatsächlich distanzierte sich die Antifa am Dienstag von dem Schreiben und erklärte, selbiges nicht verfasst zu haben.

Ungeachtet dessen zogen im wie immer debatteneiligen Internet bald weitere Theorien umher: Haben Rechte das Schreiben eingestellt, um den Verdacht auf Linke zu lenken? Oder haben Linke es getan, um über die offensichtliche Falschheit den Verdacht wieder auf die Rechten zu richten?

Das demokratische Zusammenleben stehe auf dem Spiel

Auch die Debatte im Landtag blieb von dem angeblichen Bekennertext nicht unberührt. Innenminister Ulbig bat um Geduld bei der Aufklärung, nachdem er das Schreiben selbst prominent thematisiert hatte. Zudem formulierte er erneut sein Entsetzen über die beiden Anschläge, vor allem jenen an der Moschee, in der sich zum Zeitpunkt des Angriffs die vierköpfige Familie des Imams befunden hatte. "Sprengstoff ist keine Meinungsäußerung, sondern ein Verbrechen", sagte Ulbig.

Der Linken-Politiker Enrico Stange betonte in seinem Beitrag, dass Anschläge wie jene in Dresden nicht nur als Einzelereignisse zu betrachten seien. Sie seien stattdessen vielmehr das Produkt einer gesellschaftlichen Entwicklung. Wer gegen Migranten, Juden und Lebensweisen hetze, so Stange, dem müsse spätestens jetzt klar sein, dass andere bereitwillig diese Stachelei aufgriffen und in die Tat umsetzten.

Wieder ein Brand

Auf eine Asylbewerberunterkunft in Köthen (Sachsen-Anhalt) ist am frühen Mittwochmorgen möglicherweise ein Anschlag verübt worden. Nach ersten Ermittlungsergebnissen sollen bislang Unbekannte in einer Raucherecke einen Lappen angezündet haben, wie Polizei und Staatsanwaltschaft in Dessau-Roßlau mitteilten. Eine Tür geriet in Brand, konnte aber rasch von Mitarbeitern der Unterkunft gelöscht werden. Zudem ging eine Scheibe zu Bruch. Ob dies etwa auf Steinwürfe zurückzuführen ist, war einem Polizeisprecher zufolge zunächst unklar. Verletzt wurde niemand, das Gebäude musste nicht evakuiert werden. Der Staatsschutz ermittelt wegen schwerer Brandstiftung. Ein fremdenfeindlicher Hintergrund wird nicht ausgeschlossen. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) erklärte, eine solche Tat sei beschämend und widerwärtig. "Die Täter müssen ermittelt und mit aller Konsequenz bestraft werden." dpa

Während in der Bautzen-Debatte für die CDU Marko Schiemann forderte, jeden Extremismus zu bekämpfen, sagte in der Dresden-Debatte Fraktionskollege Christian Hartmann, Gewalt sei in jedem Fall inakzeptabel. Daran schloss sinnbildlich die Rede des Grünen Valentin Lippmann an. Er erinnerte an die Erzählung vom Frosch im sich langsam erwärmenden Wasserbad, der, ohne es zu merken, am Ende gekocht wird. Man dürfe, sagte Lippmann, sich an Gewalt und Anschläge nicht gewöhnen und damit Gegnern der Republik "scheibchenweise das Feld überlassen".

Ein kleines Stück des Feldes hatten sich etwa 100 Menschen bereits am Dienstagabend zurückgeholt. Zu einer Mahnwache vor der Fatih-Moschee in Dresden-Cotta kam auch Sachsens Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD). Dulig sagte, das demokratische Zusammenleben stehe auf dem Spiel. Die im selben Komplex wie die Moschee befindliche Wohnung der Familie von Imam Hamza Turan ist derzeit nicht bewohnbar. "Wir kommen bei Nachbarn unter", sagte Turan.

Währenddessen gehen in Dresden die Vorbereitungen zu den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit weiter. Am kommenden Montag werden unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Gauck erwartet. Innenminister Ulbig sagte am Dienstag, die Feiern würden wie geplant stattfinden. Die Sicherheitsbehörden "waren und sind auch weiterhin" dafür gut vorbereitet.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3182702
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.09.2016/dit
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.