Sachsen:Willkommen zurück nach zwei Monaten

Coronavirus - Dresden

Die Leiterin einer Dresdner Grundschule begrüßt ihre Schüler.

(Foto: Robert Michael/dpa)

Im Freistaat öffnen die Grundschulen. Die Kinder müssen strikt in ihren eigenen Klassen bleiben. Doch einen Mindestabstand gibt es nicht.

Von Ulrike Nimz, Leipzig

Das Experiment startet pünktlich um 7.30 Uhr. An der Seite ihrer Eltern trippeln die Erstklässler auf das Gelände der Kurt-Masur-Schule, ein moderner Flachbau im Leipziger Süden. Manche winken einander zu. Es ist still, stiller als man sich so ein Wiedersehen nach zwei Monaten vorstellt. Für die Jungen und Mädchen muss es sich ein wenig anfühlen wie eine zweite Einschulung.

Als erstes Bundesland hat Sachsen an diesem Montag Kitas und Grundschulen wieder geöffnet, im "eingeschränkten Regelbetrieb". Das heißt: Unterricht und Betreuung erfolgen ausschließlich in Gruppen oder in Klassenverbänden. Zwischen diesen darf es keinen Kontakt geben, weder innerhalb des Gebäudes noch draußen.

In einem Informationsschreiben des Kultusministeriums vom 8. März heißt es: "Das allgemeingültige Abstandsgebot gilt somit nicht innerhalb der festen Klassenverbände." Und: "Der Infektionsschutz soll insbesondere durch die Stabilität der personellen Zusammensetzung der Klassen gewährleistet sein."

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Statt einer Zuckertüte hat vor der Kurt-Masur-Schule jedes Kind einen Zettel dabei. Per Unterschrift müssen die Eltern bestätigen, dass niemand im Haushalt Symptome von Covid-19 zeigt. Im Foyer werden die Kinder in Empfang genommen. Eltern müssen draußen bleiben. Sie verteilen Handküsse durch die Glastür.

Im Brandbrief einer Leipziger Grundschule war von "Schockstarre" die Rede

Auf dem Vorplatz steht Heike Hentschel, Rektorin der Schule, und begrüßt die Zweitklässler, die im Zeitfenster von 8 bis 8.30 Uhr eingelassen werden. Auf ihre Maske hat sie ein Herz gemalt. Die Schüler, sagt Hentschel, kämen mit einer Mischung aus Angst, Erwartung und Freude an. Lehrern und Eltern gehe es ähnlich. Man sei zwar gut vorbereitet, Pausenzeiten, Mittagessen, alles durchgetaktet. Und doch: "Wochenlang ist alles getan worden, damit die Menschen das Virus ernst nehmen. Nun sitzen die Schüler in den Klassen wieder dicht beieinander." An der Kurt-Masur-Schule lernen 20 Klassen mit je 28 Schülern, in Räumen von bis zu 58 Quadratmetern.

Vor Kurzem hat das Kollegium einen Brandbrief an Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) verfasst, darin Worte wie "Schockstarre", "Sorgen", "Zweifel". Man habe gerade erst ein Konzept entwickelt, um die 4. Klassen in Gruppen und nach Hygieneregeln zu unterrichten, dieses auch erfolgreich gelebt. Der plötzliche Strategiewechsel des Kultusministeriums sei weder nachvollziehbar noch den Kindern vermittelbar. Immerhin, nach dem Brief habe es Gespräche gegeben, sagt Hentschel. Aber sie hätten sich hier mehr Vorlaufzeit gewünscht und einen Ansprechpartner in Sachen Hygiene.

"Dass unser Konzept für die Kitas und Grundschulen auch Bedenken hervorruft, ist nachvollziehbar", heißt es aus dem Ministerium. Man könne aber versichern, dass das Konzept der strikten Gruppentrennung gemeinsam mit Experten aus dem Gesundheitswesen, Wissenschaft und der Praxis solide erarbeitet wurde.

Dem Verwaltungsgericht in Leipzig war es nicht solide genug: Es gab den Eltern eines Grundschülers recht, die per Eilantrag gegen die Wiederöffnung der Schule ohne Mindestabstand vorgegangen waren. Das Kultusministerium verkündete daraufhin, dass die Präsenzpflicht bis zum 5. Juni weiter ausgesetzt sei, Eltern bis dahin selbst entscheiden könnten, ob ihre Kinder in der Schule oder zu Hause lernen.

"Am Ende scheitert es am Drumherum"

Kirsten Umlauft ist Elternsprecherin der Klasse 1b, hat gerade ihren siebenjährigen Sohn Nils vorbeigebracht. Sie lobt die enge Zusammenarbeit mit den Lehrkräften. Durch die kreativen Hausaufgaben habe sich der Lockdown manchmal angefühlt wie eine Mutter-Kind-Kur.

Umlauft arbeitet selbst als Erzieherin an einer Leipziger Förderschule. "Bei uns haben sie den Hof mit Flatterband in drei Teile aufgeteilt", sagt sie. Aber in den Bussen der Fahrdienste säßen Kinder verschiedener Schulen trotzdem eng beieinander. "Ich habe manchmal das Gefühl, die Schulen können sich bemühen wie sie wollen, am Ende scheitert es am Drumherum. Die Kinder dürfen keinen Fußball hin und her kicken, aber die Bundesliga läuft wieder."

Es sind Widersprüche wie diese, die vor Beginn des sächsischen Experiments für Unverständnis gesorgt haben, manchmal für Wut. Ein Erzieher machte sich in der vergangenen Woche auf Twitter Luft: Alles, was man über frühkindliche Pädagogik gelernt habe, werde per Handstreich weggewischt.

Der Mann möchte anonym bleiben; am Telefon spricht er von überfordertem Personal, fehlendem Desinfektionsmittel, "unrealisierbaren Handlungsanweisungen": "Wir können wegen der baulichen Gegebenheiten keinen Mittagsschlaf versprechen, Toilettengänge sollen so kurz wie möglich gehalten werden. Wir haben kein gutes Gefühl dabei, auch wenn der erste Tag ziemlich entspannt ablief. Viele Eltern hatten Verständnis für uns und die außergewöhnliche Situation."

Außergewöhnlich wird es in Sachsens Grundschulen und Kitas wohl noch einige Zeit zugehen, und manche Versuchsanordnung sticht auch da noch heraus: Ein Kindergarten im Westen Leipzigs will Zeltdörfer errichten, um bis zu den Sommerferien im Rotationsprinzip und mit nötigem Abstand betreuen zu können. Dafür hat man extra ein Areal auf der örtlichen Pferderennbahn angemietet.

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