Sachsen:Kretschmers Problem mit der AfD

Sachsen: Über die Umfragewerte seiner CDU in Sachsen kann Ministerpräsident Michael Kretschmer, hier vor der Berliner Parteizentrale, nicht glücklich sein.

Über die Umfragewerte seiner CDU in Sachsen kann Ministerpräsident Michael Kretschmer, hier vor der Berliner Parteizentrale, nicht glücklich sein.

(Foto: AFP)
  • Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer steht nach seinen Aussagen zum Skandal um Polizei und Pressefreiheit in der Kritik.
  • Die AfD hält sich in der Affäre erstaunlich zurück. Jede Wendung wird ihr nützen.
  • In der schwarz-roten Koalition herrscht keine gute Stimmung. Wäre jetzt Landtagswahl, hätte sie nach Umfragen keine Mehrheit mehr.

Von Ulrike Nimz, Leipzig

Wer Spaß daran hat, die Farbe von Angela Merkels Kostümen zu deuten, kam am vergangenen Donnerstag voll auf seine Kosten. Die Bundeskanzlerin trug einen hellblauen Blazer, als sie an der Seite von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) durch Sachsen reiste. Und blau ist im Freistaat eben nicht nur die berühmte Elbbrücke in Dresden. Blau ist auch die Farbe der AfD.

Mehr Aufsehen als der Besuch aus Berlin erzeugte der Polizeieinsatz am Rande. Es traten auf: zwei Journalisten, überforderte Polizeibeamte und ein Pegida-Pöbler mit Deutschlandhütchen, angestellt beim sächsischen Landeskriminalamt (LKA). Wäre dies ein Drehbuch, es würde nie verfilmt - zu hanebüchen ist der Plot. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Vorfall binnen weniger Stunden von einer Debatte über Pressefreiheit zum Polizeiskandal avanciert. Sachsen gilt mal wieder als verlorenes Land, und der Landesvater ist daran nicht ganz unschuldig.

Als der TV-Journalist Arndt Ginzel ein Video des Polizeieinsatzes veröffentlichte, bildete sich Michael Kretschmer bei Twitter sehr schnell eine Meinung: "Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten", schrieb er. Um Tage später zu ergänzen: "Ich bin ein überzeugter Verteidiger der Pressefreiheit."

In der schwarz-roten Regierung kriselt es gewaltig

Überzeugt vielleicht, aber überzeugend? Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) bezog recht bald recht öffentlich Position gegen Kretschmer: "Die Arbeit von Journalisten ist eine ernste Angelegenheit", schrieb er auf Twitter. "Ich kann hier kein unseriöses Verhalten erkennen." Ein Jahr vor der Landtagswahl kriselt es gewaltig in der schwarz-roten Koalition. Der geplante 1. September 2019 gilt als Schicksalstag für den Freistaat und für Michael Kretschmer, über dessen Verhalten im Deutschlandhut-Debakel nicht nur geschimpft, sondern auch spekuliert wird. Geht da einer auf Stimmenfang im rechten Lager? Hat er Angst, dass die AfD stärkste Kraft wird, wie bei der Bundestagswahl?

Im September 2017 erlebte Kretschmer sein ganz eigenes blaues Wunder, als er sein Direktmandat an den AfD-Mann Tino Chrupalla abtreten musste, einen bis dato unbekannten Malermeister aus Weißwasser. Knapp drei Monate später wählte der sächsische Landtag den Wahlverlierer zum Nachfolger des gestrauchelten Stanislaw Tillich. Deutschlands jüngster Ministerpräsident hat vielleicht keinen erfolgreichen Wahlkampf geführt, um ins Amt zu kommen. Umso härter kämpft er, um im Amt zu bleiben.

Kretschmers Mission Impossible sieht so aus: Er kann mehr Polizisten ausbilden lassen, Lehramtsstudenten mit Verbeamtung locken, aber bis die Reviere besetzt und die Lücken in den Lehrplänen geschlossen sind, wird es dauern, zu lange, um bis zur Wahl Ergebnisse vorzuweisen. Er kann nur versuchen, möglichst glaubhaft seine Botschaft unters Volk zu bringen: Wir packen künftig alle gemeinsam an. Ich bin einer von euch.

Schon als er noch Generalsekretär seiner Partei war, hat Kretschmer sehr genau zugehört, was die Sachsen zu sagen haben, über die Rente, Flüchtlinge, Merkel. Er hat Polterern dabei nicht immer Einhalt geboten. Bis heute eilt ihm der Ruf voraus, ein politisches Chamäleon zu sein. Mal liberal, mal stockkonservativ. Je nachdem, was Zeitgeist oder Publikum gerade fordern.

In Umfragen hat Kretschmers Koalition mit der SPD keine Mehrheit

Wäre in diesen Tagen Landtagswahl in Sachsen, käme die AfD auf 24 Prozent. Die schwarz-rote Koalition hätte keine Mehrheit mehr. Um ohne AfD und Linke zu regieren, müsste die CDU ein Viererbündnis mit SPD, Grünen und FDP wagen oder eine Minderheitsregierung. Beide Szenarien werden selbst dem betont zuversichtlichen Ministerpräsidenten nicht behagen.

Vergangene Woche stellte Kretschmer gemeinsam mit seinen Staatsministern im beschaulichen Limbach-Oberfrohna eine Strategie für den ländlichen Raum vor. Es ging um Glasfaser, den öffentlichen Nahverkehr und die immer heißeren Sommer. Ein Mädchenchor sang "True Colours", am Ende gab es ein warmes Buffet. Kretschmer weiß, die Landtagswahl wird in der Provinz entschieden; und der Klimawandel ist in Sachsen nicht allein Sache des Landwirtschaftsministers.

Seit Beginn seiner Amtszeit will der Ministerpräsident seine Bürger davon überzeugen, dass Sachsen ein Land voller "fröhlicher, stolzer Menschen" ist. Die Menschen sehen das ein bisschen anders: 28 Jahre nach dem Mauerfall sind zwei von drei Sachsen überzeugt, Bürger zweiter Klasse zu sein. Das ergab eine repräsentative Umfrage der Sächsischen Zeitung.

Bei der Bundestagswahl wurde die AfD im Freistaat auch wegen der CDU gewählt. Weil viele die Niedriglöhne leid sind, weil nur der Malermeister zum Infoabend geladen hatte. Weil Menschen, die sich fremd im eigenen Land fühlen, dazu neigen, fremdenfeindliche Parteien zu wählen.

Bis im Herbst kommenden Jahres erneut gewählt wird, beschäftigt sich die sächsische Politik noch ein bisschen mit sich selbst. Eine Woche nach dem folgenreichen Besuch der Kanzlerin kam am Donnerstag in Dresden der Innenausschuss zusammen, um die Ereignisse zu ordnen. Zwei Stunden dauerte die Beratung. Grüne und Linke unterstrichen noch einmal die Unverhältnismäßigkeit des Vorgehens gegen das Kamerateam des ZDF. Die CDU sprach von "Weckruf für die Polizei in Sachsen". Alle gelobten Aufklärung.

Und die sächsische AfD? Die bleibt in dieser Sache erstaunlich still. Wird sonst jeder Schritt des Gegners mit scharf formulierten Pressemitteilungen bedacht, braucht die Partei nun kaum mehr tun, als sich zurückzulehnen. Jede Wendung wird ihr nützen. Bleibt die Affäre ohne Folgen, können LKA und Innenminister schon mal die Schirme aufspannen - der nächste Shitstorm kommt bestimmt. Sollte der Mann mit Deutschlandhut am Ende gar seinen Job verlieren, mag das für einige ein Moment der Genugtuung sein. Die AfD aber hätte einen Märtyrer im Dienste der Meinungsfreiheit. Und der Ministerpräsident ein Problem mehr.

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