Sachsen:Ein Sumpf, der keiner war

Dresdner Staatsanwaltschaft wirft dem Landesamt für Verfassungsschutz vor, mit Gerüchten gearbeitet zu haben.

Arne Boecker

Die Vorwürfe wogen schwer: Ein mafiöses Netzwerk beherrsche Teile der sächsischen Politik, hieß es. Zu den Delikten, derer sich die Dunkelmänner schuldig gemacht haben sollen, zählten unter anderem Bestechung, Strafvereitelung im Amt und sexueller Missbrauch von Kindern. In der Öffentlichkeit wucherte der Verdacht zum "Sachsensumpf" heran. In der vergangenen Woche legte die Staatsanwaltschaft Dresden dar, was aus ihrer Sicht an der Sache dran ist - nichts.

In den Tagen danach quälte sich die sächsische Politik damit herum, das eindeutige Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Recherchen für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Bei der Opposition war das Bemühen zu spüren, die Geschichte jetzt zu drehen. Die Argumentation geht in etwa so: Wenn es den "Sachsensumpf" gar nicht gibt, besteht der Skandal eben darin, dass ein bloßer Verdacht ausgereicht hat, das politische Sachsen in helle Aufregung zu stürzen. Der Untersuchungsausschuss "Sachsensumpf", der zu dessen Trockenlegung eingerichtet worden ist, solle "die politische Verantwortung für die Affäre aufklären", fordert deshalb Caren Lay von der Linken, die dem Ausschuss angehört.

Die CDU, die mit Georg Milbradt den bisherigen und mit Stanislaw Tillich den künftigen Ministerpräsidenten stellt, könnte eigentlich triumphieren. "Die Skandalgeschichte ist völlig zusammengebrochen", sagte Christian Piwarz, CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss. Die Opposition, insbesondere die Linke, müsse sich "fragen lassen, welchen Anteil sie an der Skandalisierung" habe. Allerdings hat der "Sachsensumpf" auch einen wichtigen CDU-Politiker beschmutzt. Zu Beginn der Affäre hatte Innenminister Albrecht Buttolo im Landtag eine aufsehenerregende Rede gehalten. Sie fußte offensichtlich darauf, dass er einen Großteil der Vorwürfe für berechtigt hielt. Auch wegen dieser Rede gilt als unsicher, dass der neue Ministerpräsident Buttolo als Innenminister im Amt bleibt.

Die "Sachsensumpf"-Vorwürfe beziehen sich vor allem auf das Leipzig vom Anfang der neunziger Jahre. Dabei geht es um unsaubere Immobiliengeschäfte und um Kontakte ins Rotlichtmilieu. Hier spielte insbesondere ein Leipziger "Kinderbordell" eine Rolle. Im Zentrum der Verdächtigungen stand Norbert R. Der jetzige Leiter des Amtsgerichts Chemnitz hatte seinerzeit als stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Leipzig amtiert. Erhebliche Vorwürfe gab es auch gegen Jürgen N., früher Vizepräsident des Landgerichts Leipzig, und gegen Martin K., langjähriger Chefjurist bei der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft. Das "kriminelle Personennetzwerk", das die drei Männer aufgebaut haben sollten, habe jedoch schlicht "nicht existiert", stellte die Staatsanwaltschaft Dresden fest.

Der Bericht deckt haarsträubende Fehler im sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz auf. Eine Referatsleiterin für Organisierte Kriminalität hatte mit Gerüchten hantiert, die sie sich aus unzuverlässigen Quellen bestätigen ließ. Johannes Lichdi, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne, kritisiert in diesem Zusammenhang den früheren Innenminister Thomas de Maizière - heute Leiter des Kanzleramtes - und den jetzigen Amtsinhaber Buttolo. Sie trügen "die politische Verantwortung dafür, dass der Verfassungsschutz außer Rand und Band - jedenfalls ohne ausreichende Kontrolle - agieren konnte", behauptet Lichdi.

Bereits im Januar hat Amtsgerichtspräsident Norbert R. dem Finanzministerium einen Brief geschrieben, in dem er Schadensersatz in Höhe von 250000 Euro einfordert. Nach Auskunft des Ministeriums ist der Brief an das Justizressort weitergeleitet worden, wo die Forderung noch geprüft wird. Mehrere Journalisten haben im Zusammenhang mit der "Sachsensumpf"-Affäre Unterlassungserklärungen abgegeben oder sich für ihre Verdächtigungen entschuldigt.

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