Sachsen:Deutlich über Zimmerlautstärke

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Nach dem Rücktritt von Stanislaw Tillich ist nun Michael Kretschmer neuer Ministerpräsident in Sachsen.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Gratulation vom Vorgänger: Michael Kretschmer (links) mit Stanislaw Tillich im Landtag in Dresden. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Zu Beginn der Sitzung des Sächsischen Landtages bleibt am Mittwoch ein Stuhl leer, nämlich der des Ministerpräsidenten. Zu Mitternacht war der Rücktritt des bisherigen Amtsinhabers Stanislaw Tillich wirksam geworden, der diesen angekündigt hatte, nachdem die CDU bei der Bundestagswahl in Sachsen hinter die AfD zurückgefallen war. Tillich hatte zudem einen Vorschlag für seine Nachfolge gemacht: Michael Kretschmer sei jung und doch erfahren, zudem bringe er aus Berlin "ein belastbares Netzwerk" mit.

Dass Kretschmer, 42, sich auf das Netzwerken versteht, lässt sich aus den Ergebnissen der vergangenen Tage ablesen. Am Samstag wählte ihn der CDU-Landesverband mit 90 Prozent zu seinem neuen Vorsitzenden. Am Mittwoch erhielt Kretschmer im ersten Wahlgang 69 Ja-Stimmen, das waren fünf mehr als nötig und acht weniger als die regierungstragenden Fraktionen von CDU und SPD Mandate zählen. In der Summe darf der Übergang von Tillich auf Kretschmer als überwiegend geräuschlos bezeichnet werden, allein darin dürften der alte wie der neue Ministerpräsident einen nicht geringen Erfolg sehen angesichts der durchaus komplizierten Gesamtsituation im Freistaat.

Zwölf Jahre lang hatte Michael Kretschmer als Generalsekretär für die sächsische CDU gesprochen, nicht selten deutlich über Zimmerlautstärke. In Berlin war er bis zum Herbst acht Jahre lang einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag gewesen. Bei der Wahl im September allerdings hatte Kretschmer seinen Heimatwahlkreis an einen Kandidaten der AfD verloren, über die Landesliste war er vorsätzlich nicht abgesichert gewesen. Umgehend hatte es Spekulationen gegeben, der plötzlich mandatslose Kretschmer könnte als Minister ins Kabinett von Stanislaw Tillich wechseln. Dass dieser dann aber Kretschmer als seinen eigenen Nachfolger vorschlug, überraschte.

Seitdem lassen sich in Sachsen jene wundersamen Metamorphosen beobachten, die politische Wechsel zuweilen mit sich bringen. Stanislaw Tillich, dem in seiner neunjährigen Amtszeit oft Blässe und Zögerlichkeit vorgeworfen worden waren, schritt seit seiner Rücktrittsankündigung mit großer äußerlicher Gelassenheit seiner Ablösung entgegen. Noch am Dienstag gab er eine Abschiedspressekonferenz, die mit dem Begriff heiter treffend beschrieben ist. Kretschmer hat eine volle Agenda in den zwei Jahren bis zur Landtagswahl. Gegen den akuten Lehrermangel hat der von ihm bereits mitausgewählte neue Kultusminister das Instrument der Verbeamtung empfohlen, die CDU-Fraktion fühlte sich überrumpelt, forderte zum Teil bereits wieder den Rücktritt des neuen und im doppelten Sinne eigenen Ministers. Zudem wird Kretschmer, der im Bund vor allem das Thema Bildung bearbeitet hatte, sich an empfindlicher Stelle gleich industriepolitisch profilieren müssen. Am Mittwoch saßen neben ihm auf der Tribüne auch zwei Betriebsräte aus seiner Heimatstadt Görlitz, in der Siemens ein Werk schließen will. Politische Bildung, Debattenkultur, innere Sicherheit - in diesen Bereichen will Kretschmer, der in seinen Positionen manchen als opportun-volatil gilt, anderen als gewieft-zurückhaltend, Antworten finden. Im Januar will er ein 100-Tage-Programm vorstellen. Schon am Montag wird er eine Umbildung des Kabinetts verkünden. Ein Minister machte ein paar Erinnerungsfotos im Plenarsaal. Man weiß ja nie.

© SZ vom 14.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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