Süddeutsche Zeitung

Sachsen:Der Ausfall

Sachsens Ministerpräsident fehlt eine klare Haltung zum Geschehen in Chemnitz. Das freut nur die AfD.

Von Detlef Esslinger

In jedem Amt gibt es Situationen, in denen man entweder offenbart, dass man zu Recht dort ist - oder seiner Aufgabe nicht gewachsen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat lange, etwas zu lange, gebraucht, bevor er zu den Vorgängen in Chemnitz Stellung bezog; dann schien er die Kurve gekriegt zu haben. Am Mittwoch jedoch gab er eine Regierungserklärung zum Verzweifeln ab.

In Chemnitz wurde Menschen nachgestellt, nur weil sie dunkler Hautfarbe waren. In Chemnitz liefen mehrere Tausend Menschen in einer Demonstration von bekennenden Nazis mit. Auf keiner einzigen Filmaufnahme ist zu sehen, dass wenigstens ein "ganz normaler Bürger" sich angewidert abgewendet hätte. Ein Ministerpräsident sollte klarmachen, dass es da an der Zeit gewesen wäre "zu sagen, mit denen haben wir nichts zu tun. Wir suchen uns einen anderen Ort." Genau das sagte Kretschmer - vor einer Woche. Nun aber äußerte er, wer aus Wut über das Tötungsdelikt auf die Straße ging, solle nicht "an den Pranger" gestellt werden. Auch habe es dort keinen "Mob" gegeben.

Dieser Politiker hat keine Haltung zu den Vorgängen. Statt Führung bietet er Wortklauberei. Er sorgt sich wegen eines Prangers, den es nicht gab. Der einzige, den er nicht sprachlos macht, ist der Chef der AfD; der stimmt ihm zu. Was für ein Ausfall. Oh Mann.

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Quelle:
SZ vom 06.09.2018
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