Sachsen:Das Reden danach

Sitzung des Sächsischen Landtages

Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen.

(Foto: Robert Michael/picture alliance/dpa/dpa-Zentral)

Als Michael Kretschmer vor seinem Privathaus von Corona-Leugnern bedrängt wurde, sorgte das für Bestürzung und Solidarität. Nun sucht Sachsens Ministerpräsident erneut den Dialog. Dieser Ansatz überzeugt nicht jeden.

Von Ulrike Nimz, Leipzig

Knapp zwei Wochen ist es her, dass Corona-Leugner Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) vor seinem Privathaus in der Oberlausitz bedrängten und lautstark "Antworten" forderten zu den aus ihrer Sicht überzogenen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. Es entspann sich ein etwa zwanzigminütiger Dialog, in einem Video festgehalten, in dessen Verlauf Kretschmer entschieden widersprach, aber auch ein Angebot machte: Man könne gern diskutieren - gemeinsam mit Krankenhauspersonal zum Beispiel, "Leuten, die unmittelbar damit zu tun haben".

Ein solches Gespräch wird es nun am Freitag kommender Woche unter Federführung der Konrad-Adenauer-Stiftung geben. Unter dem Motto "Fakten statt Fake News" soll über die angespannte Situation in den sächsischen Krankenhäusern und Pflegeheimen diskutiert werden. Das digitale Format richtet sich vor allem an die Menschen im Dreiländereck, wo das Virus zuletzt besonders heftig grassierte, aber auch Verschwörungsmythen kursieren.

Corona-Leugner beschimpfen Kretschmer als "Milchreisbubi"

So wird die Gesprächsrunde mit dem Ministerpräsidenten auch in nicht öffentlichen Telegram-Gruppen wie "Corona Rebellen Sachsen" geteilt, das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete zuerst. Auch der Screenshot einer Mail der Sächsischen Staatskanzlei macht dort die Runde, in welcher einer Administratorin der Gruppe ein inzwischen verworfener Termin für die Onlinediskussion mitgeteilt wird. Nach SZ-Recherchen ist die Frau auch beteiligt an den Corona-Protesten entlang der B96 und verwaltet ein Spendenkonto für "Patriotic Opposition Europe", eine rechtsextreme Splittergruppe, die zuletzt auf Demonstrationen gegen die Pandemiemaßnahmen in Erscheinung trat. In der Telegram-Gruppe wird Kretschmer als "Dreckfresse" und "Milchreisbubi" beschimpft.

Regierungssprecher Ralph Schreiber bestätigte, dass sich nach dem Vorfall an Kretschmers Zweitwohnsitz eine Frau gemeldet und auf das Gesprächsangebot des Ministerpräsidenten Bezug genommen habe. Die Demonstration vor dessen Haus habe deutlich gezeigt, "dass es in der Bevölkerung einerseits zahlreiche Fragen gibt, andererseits aber auch viele Falschinformationen rund um Corona kursieren. Deshalb hatte der Ministerpräsident den Dialog im Rahmen einer Veranstaltung angeboten". Das für den 29. Januar geplante offene Forum richte sich jedoch nicht vorrangig an den Kreis der Demonstranten. Jeder Interessierte kann sich mit Klarnamen anmelden, um die Einwahldaten zu erhalten. Neben dem Ministerpräsidenten nehmen auch Zittaus Oberbürgermeister und der medizinische Direktor des örtlichen Krankenhauses, Mathias Mengel, teil.

Letzterer hatte Mitte Dezember mit seiner Warnung vor Triage für Aufsehen gesorgt. Inzwischen sei die Situation etwas entspannter, so Mengel, aber die Intensivstation noch immer voll. Kretschmer hatte das Zittauer Klinikum in den vergangenen Wochen besucht, genauso wie ein stark von Corona betroffenes Seniorenheim in Görlitz, dessen Leiterin Bergit Kahl ebenfalls an der Gesprächsrunde teilnehmen wird. "Ich werde nicht müde, diesen Leuten zu erzählen, was für ein Leid diese Krankheit bedeutet", sagte sie. 30 Prozent der Heimbewohner seien an Covid-19 gestorben.

So verschiebt sich die Grenze des Sagbaren, meinen die Grünen

Kretschmers Vorstoß sorgt jedoch auch für Kritik beim grünen Koalitionspartner. Franziska Schubert, Fraktionsvorsitzende aus Görlitz, sagte, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, "dass man vor allem dann gehört wird, wenn man nur laut und lange genug den Systemsturz herbeifabuliert". Dadurch verschiebe sich die Grenze des Sagbaren. "Teile der CDU denken meiner Beobachtung nach immer noch, sie können rechts die Leute wieder einsammeln und der AfD abspenstig machen."

Unter den selbsternannten Corona-Rebellen auf Telegram ist das Interesse am Dialog mit dem Ministerpräsidenten bislang mäßig. Tenor der teils hämischen Kommentare: Was soll das bringen?

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