Nur sechs Sätze brauchte die sächsische CDU am Dienstag, um den Tod des letzten Projekts der Kenia-Koalition mit SPD und Grünen offiziell zu verkünden. Trotz intensiver Verhandlungen mit den Koalitionspartnern über eine behutsame Änderung der Verfassung und trotz grundlegender Bereitschaft der CDU sei die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht mehr zu erreichen. Der Grund: Vier CDU-Abgeordnete lehnen die Verfassungsänderung ab, einer hat die Fraktion verlassen - damit ist die groß angekündigte Reform gescheitert, die selbst die Linkspartei unterstützt hatte.
Geplant waren geringere Hürden für direkte Demokratie, die Verpflichtung zum Klimaschutz als Staatsziel und die Einführung der sogenannten Volksklage, die es Bürgern ermöglichen sollte, Gesetze vom Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen. Vor allem Ministerpräsident und CDU-Landeschef Michael Kretschmer hatte im Wahlkampf mehr direkte Demokratie versprochen. Entsprechend werteten die Grünen die fehlende Geschlossenheit der CDU-Fraktion als persönliche Niederlage des Ministerpräsidenten. Der Verein Mehr Demokratie beklagte, es sei "ein Armutszeugnis für das Parlament, das nicht in der Lage ist, sich auf eine Stärkung der Bürgerrechte zu verständigen".
"CDU hat die Vertragstreue geopfert."
SPD-Chef Henning Homann sagte: "Dass die CDU ihre eigenen Wahlversprechen bricht, ist ihr Problem, das Signal an die engagierten Bürgerinnen und Bürger in Sachsen ist jedoch fatal." Die SPD hatte lange dafür geworben, auch die Schuldenbremse anzupassen, musste dann aber akzeptieren, dass die CDU auf keinen Fall so weit gehen wollte. Nun ist auch der kleinste gemeinsame Nenner der Koalitionäre gescheitert.
Wie schlecht das Klima in der Dreierkoalition ist, hatten ihre führenden Vertreter am Freitag öffentlich im Bundesrat in Berlin demonstriert. Bei der Abstimmung über die Freigabe von Cannabis konnten sich SPD, Grüne und CDU vorab nicht auf ein Votum einigen, laut Koalitionsvertrag hätte sich Sachsen damit der Stimme enthalten müssen. Kretschmer stimmte allerdings dafür, den Vermittlungsausschuss anzurufen, seine Vize Martin Dulig (SPD) und Wolfram Günther (Grüne) enthielten sich - das Votum war damit ungültig.
Günther sagte danach: "Die CDU sagt von sich selbst, sie ist absprachefest und vertragstreu. Das ist ihr Selbstbild und das gehörte bislang für viele zur DNA dieser Partei. Diese DNA, die Vertragstreue, hat die CDU heute im Bundesrat für alle sichtbar geopfert." Im Koalitionsausschuss werde man darüber zu reden haben, sagte Günther. Dort eröffnete die CDU dann ihren Koalitionspartnern am Dienstag, dass sie ihre Reihen für die fertig ausverhandelte Verfassungsänderung nicht schließen kann.
Selbstblockade auch ohne AfD
Dabei dürfte dies auf absehbare Zeit die letzte Gelegenheit für eine Verfassungsänderung ohne die Stimmen der rechtsextremen AfD gewesen sein. Am 1. September wird in Sachsen und Thüringen ein neuer Landtag gewählt, Brandenburg folgt drei Wochen später. In allen drei Bundesländern führt die AfD seit geraumer Zeit die Umfragen an und könnte jeweils stärkste Fraktion werden.
Aus Thüringen hat der dortige Landeschef Björn Höcke das strategische Ziel vorgegeben: eine Sperrminorität von einem Drittel der Landtagssitze zu erreichen. Dann nämlich könnte gegen den Willen der AfD keine Verfassung mehr geändert werden, auch bei der Wahl von Verfassungsrichtern wäre die AfD nicht mehr außen vor, ebenso wenig wie bei der Auflösung des Parlaments. Während die Umfragewerte für die AfD in Thüringen jüngst zurückgingen, liegt sie sächsische AfD allerdings stabil bei 34 Prozent.
Für eine Selbstblockade der Demokraten im Landtag braucht es allerdings weder in Sachsen noch in Thüringen eine Sperrminorität der AfD. Die Wiederwahl einer stellvertretenden Richterin am Verfassungsgerichtshof scheiterte in Erfurt vor zwei Wochen an fehlenden Stimmen aus der CDU.