Alles noch mal gut gegangen? Für einen Moment könnte das mancher glauben. In Sachsen liegt die CDU vorne, wie seit dreißig Jahren. In Brandenburg ist es knapper ausgegangen, aber auch hier haben es die Sozialdemokraten geschafft, in ihrer Hochburg als erste durchs Ziel zu laufen. Zwei Volksparteien, zwei Wahlen, zwei Siege im Stammland - da könnte es glatt Leute geben, die meinen, die Welt sei die Gleiche geblieben.
Nichts aber wäre nach diesen Wahlen trügerischer, als das für möglich zu halten. So ziemlich gar nichts wird bleiben wie bisher. Das beginnt schon bei der Erkenntnis, dass in Dresden wie Potsdam Koalitionen anstehen, die es so in beiden Ländern noch nie gegeben hat. Das träfe für ein mögliches schwarz-grün-rotes Kenia-Bündnis in Sachsen zu; aber auch eine rot-rot-grüne Regierung in Brandenburg wäre für das alte SPD-Land ein Kulturbruch. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen über die Zukunft; das gilt für die Kohleregion in der Lausitz, für die Landwirtschaft und für den Weg zur Rettung des Klimas.
CDU und SPD haben enorm an Bindekraft verloren
Außerdem haben die Wahlen zwei Sieger hervorgebracht, die dramatisch verloren haben. CDU und SPD wurden nicht bestätigt; die Wähler haben ihnen eine letzte Warnung zugerufen. Beide haben selbst dort, wo sie unschlagbar zu sein schienen, enorm an Bindekraft verloren. Wer sich zudem ansieht, was mit der CDU in Brandenburg und der SPD in Sachsen passiert ist, dem sagt das vor allem eines: Politik muss hier wie dort neu gedacht werden.
So schwer freilich, wie das klingt, muss es nicht werden - dem Erfolg der AfD zum Trotz. Deren Gestus, nicht regieren zu wollen, führt dazu, dass auch nach dieser Wahl die Verantwortung bei Union und SPD, bei Grünen, Liberalen und Linken liegt - wobei Letztere eine schwere Schlappe verdauen müssen. Trotzdem werden sie wohl in die Pflicht genommen. Verantwortung ist für alle in dieser Lage eine Last, weil die AfD weiter alles schlechtredet, egal, was es sein wird. Aber es ist auch eine Chance; die Parteien müssen sie nur annehmen. Nur wer regiert, kann die Lage im Land zum Besseren wenden.
Wie das gelingen kann, konnten Michael Kretschmer und Dietmar Woidke in den letzten Tagen studieren. Beide haben um ihr politisches Überleben gekämpft, und beide mussten lernen, dass sie kaum vorankamen, solange sie in den klassischen parteipolitischen Strategien festhingen. Erst als sie sich von den CDU- und SPD-internen Debatten lösten, wurde es besser.
Kretschmer und Woidke präsentierten sich im Endspurt als Kümmerer
Plötzlich waren sie nicht mehr die Spitzenkandidaten ihrer Parteien; sie boten sich selbst an. Dass sie beide am Ende vorne liegen, haben sie sich selbst zu verdanken. Sie gingen und fuhren und reisten durchs Land als Kümmerer, die sich jeder Debatte und jeder Kritik stellten. Aus Ministerpräsidenten wurden Oberbürgermeister, mit wenig Partei, viel Person und jeder Menge konkreter Fragen. Das ist es, was die Wähler goutieren. Und was die beiden Politiker am deutlichsten von den rechten Populisten abgrenzt, die vor allem eines können: alles schlechtmachen.
Neu ist das Phänomen einer Personenwahl nicht. Ungewöhnlich ist, dass auch Kretschmer und Woidke es ein wenig nutzen konnten. Der eine ist kein Kurt Biedenkopf; der andere kein Matthias Platzeck. Beide punkten nicht durch Ausstrahlung, sondern am ehesten durch einen ehrlichen, authentischen, manchmal auch eckig-kauzigen Einsatz.
Mehr Polizisten und Ärzte, schnelleres Internet: Das müssen die Koalitionen liefern
Genau das könnte eine Vorlage für die Verhandlungen werden, die bald geführt werden. Versinken die Gespräche über künftige Koalitionen in den üblichen Profilierungsversuchen der Parteien, dürfte es Kretschmer und Woidke (oder einem Nachfolger) kaum gelingen, der noch mal erstarkten AfD etwas Erfolgreiches entgegenzusetzen. Mehr Polizisten und Landärzte, mehr Breitband, kluge Forschungskooperationen und eine bessere Verkehrsanbindung - wer den Menschen zugehört hat, weiß genau, was jede Koalition liefern muss, egal, wer ihr angehört. Dass diese Themen mehr an einen kümmernden Bürgermeister als einen weltreisenden Ministerpräsidenten erinnert, ist kein Schaden.
Im Gegenteil. Nicht die Profilierungssehnsucht der Parteien wird Politikern im Osten wieder Glaubwürdigkeit, Authentizität und am Ende politische Kraft geben. Diese kommt nur zurück, wenn die Menschen spüren, dass sich da jemand nicht nur für die eigene Zukunft einsetzt. Das klingt banal und ist doch selten geworden.
Was das für die Zusammensetzung der Koalitionen bedeutet, ist offen. Sicher ist nur, dass die Parteien sich mehr kümmern, sich mehr erklären und häufiger auch mutig etwas ausprobieren müssen. Dann kann im Osten Neues erwachsen.