Süddeutsche Zeitung

Koalition:Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Wettlauf um den Platz an Haseloffs Seite

Der CDU-Politiker wird wohl Ministerpräsident bleiben. Doch der Koalitionspartner SPD mit Katrin Budde liegt in Umfragen hinter Linken und AfD.

Von Cornelius Pollmer, Werben (Elbe)/Halle (Saale)

Wer für den Wahlkampf in eine Stadt namens Werben fährt, der macht die Schatulle mit den vielen Bildern gleich selbst auf, und eines dieser Bilder geht zurück auf Christian Köhler. Der Maler, in Werben in der Altmark geboren, schuf 1849 die "Erwachende Germania". Selbige greift in Köhlers Vorstellung nach der Kaiserkrone, im Hintergrund versinken Dämonen und die üble Zeit der Finsternis. Eine Replik hängt im Büro des Bürgermeisters und unter diesem Bild sitzt nun Katrin Budde, Landes- und Fraktionsvorsitzende der SPD in Sachsen-Anhalt sowie Spitzenkandidatin für die Wahl am Sonntag.

Eine erwachende Budde greift nach der Krone, das war im Grunde auch die Idee der SPD für diesen Wahlkampf. Ein rot-rot-grünes Bündnis sollte und soll es werden, gerne unter Führung der SPD. Nun aber sieht es so aus, als könnte es für Budde am Sonntag ein Erwachen aus der Kategorie "ungemütlich" geben. Bei 15 Prozent liegt ihre Partei in aktuellen Umfragen, hinter CDU, Linken und AfD. Die Aussicht: Dämonen und Finsternis.

"Es ist Zeit", lautet Buddes Motto. Sie meint: Zeit für mich

Die erste Begegnung Buddes mit der Politik war kein Moment des Erwachens, sie folgte einem Einschlafen. Im katholischen Elternhaus in Magdeburg durfte sie auch das West-Sandmännchen sehen. Als Budde in der Schule erzählte, daheim schaue sie immer zweimal Sandmännchen, wusste der Lehrer: Westfernsehen! Anruf Zu Hause, Rüge. Budde bekam von ihren Eltern den Rat, man müsse ja nicht immer alles sagen. Dass ihr das schwerfiel, konnte Budde später in ihrer Stasi-Akte nachlesen. Über ihre Zeit an der Penne ist dort vermerkt, sie sei "beim Thema Schwerter zu Pflugscharen nicht von der richtigen Meinung zu überzeugen" gewesen.

Die Mauer fiel, Budde begann, andere von ihrer Meinung zu überzeugen. Schon der Vater sei "glühender Sozialdemokrat" gewesen, sagt sie, er habe ihr immer erklärt: Menschen wie wir brauchen die Sozialdemokratie, sonst würden wir den Fürsten heute noch die Schuhe putzen. Schon 1990 zog Katrin Budde in den Landtag ein, im Experimental-Kabinett Höppner II war sie einige Monate Ministerin. Budde, 50, ist mit Magdeburg verwachsen, mit Sachsen-Anhalt, mit der SPD.

Umso mehr wundern sich Teile der Partei über die Art und Weise, mit der Katrin Budde diesen Wahlkampf führt. "Es ist Zeit", lautet das zentrale Motto-Mantra Buddes. Es meint Zeit für "gute Arbeit" und "starke Hochschulen", aber es meint natürlich auch: Es ist Zeit für mich.

Die SPD suggeriert Neuanfang - aber dafür ist Budde schon zu lang dabei

Zentrale SPD-Minister aus der gegenwärtigen Landesregierung spielen im Wahlkampf kaum eine Rolle, die SPD versucht, eine Art gefühlter Wechselwahl herbeizuplakatieren, obwohl sie eben selbst an der Landesregierung beteiligt ist und obwohl es keine wirkliche Wechselstimmung im Land gibt. Schon darin zeigt sich das grundsätzliche Dilemma der Spitzenkandidatin und ihrer Es-ist-Zeit-Strategie: Budde gehört in der SPD schon so lange irgendwie dazu, dass von ihr nicht gerade ein Signal des Neuanfangs ausgehen kann.

Andererseits gehört sie weder persönlich dem SPD-Teil der Regierung an, noch bringt sie dessen Verdienste auffällig werbend in den Wahlkampf ein. Eher überwirft sie sich auch einmal mit eigenen Leuten, wie etwa mit Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper. Dieser stand mit seinen Bedenken in der Asylpolitik an der Seite von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Budde kritisierte Trümper, Trümper trat aus der Partei aus, diese trug den Schaden davon, nicht nur in Umfragen.

Die vielen Verwerfungen in der Asylpolitik haben auch die CDU beschädigt, die Strategie Haseloffs dagegen lautet zusammengefasst: Sacharbeit plus Seehofer. Der Ministerpräsident betont so oft es geht die Notwendigkeit von Hilfe in der Not und er verweist dann gerne auf die in Sachsen-Anhalt vergleichsweise gut organisierte Unterbringung von Geflüchteten. Botschaft: Wir machen unsere Hausaufgaben.

Weil dem so ist, fühlt Haseloff sich auch frei, in der Gegenrichtung etwas breitbeiniger aufzutreten, als es sonst seine Art ist. Vor gut einer Woche lud er Horst Seehofer zum Wahlkampf-Kumpeln nach Halle. Es fielen wieder viele Sätze aus der Liga Härte, aber mit Herz - und Haseloff, der vor Monaten schon eine Integrations-Obergrenze für Sachsen-Anhalt beschrieben hatte, schloss: "Ich habe immer gesagt, rechts von der CDU darf es keine Alternative geben. Wir sind die Alternative."

Haseloff wirkte an der Seite Seehofers prägnant und fokussiert, eine Fähigkeit, die ihm an vielen anderen Arbeitstagen oft fehlt. Der Ministerpräsident gilt als arbeitseifrig und überlandwütig, er besucht mehr Firmen als ein leistungsbereiter Inspekteur aus dem Gesundheitsamt und sonntags geht es oft noch ein bisschen früher los, damit zwischen A und B noch ein Kirchgang drin ist. Seit Jahrzehnten betritt Haseloff, 62, jeden Sonntag die Kirche, ganz gleich wo auf der Welt er gerade ist. Gemeldet ist er, der Katholik, in der Lutherstadt Wittenberg.

Die Bilanz seiner Amtszeit ist positiv

Historische Tiefenbildung, Detailkenntnis, Vom-Ende-her-Denken nach Merkels Vorbild - in den harten Kategorien ist Reiner Haseloff seinem Amt locker gewachsen. Die harten Parameter seiner fünf Jahre Regierungszeit fallen ebenso gut aus, vor allem die nun leicht positive Wanderungsbilanz und der Rückgang der Arbeitslosigkeit würden ihm und der CDU nun helfen, wären die Zeiten gewöhnlich.

Der Konjunktur der AfD könnte Haseloff womöglich mit Charisma und Leidenschaft entgegentreten, womöglich mit einer rüttelnden Hallo-wach-Rede auf den Fortschritt des Landes. Nur ist er eben nicht gerade ein Politik-Verkäufer, was aber gar kein Problem sein würde, wären die Zeiten . . .

Reiner Haseloff wird seine Krone nach dem Sonntag wohl behalten dürfen, jede Folgefrage aber erscheint ungewiss: Mit wem? Wie stabil? Der Ministerpräsident hat früh für eine Fortführung der schwarz-roten Koalition geworben, aber weil er vom Ende her denkt, trug er womöglich schon leise Zweifel in sich, als er zu Beginn des Jahres beim Neujahrsempfang des Landes an den Stehtisch von Katrin Budde trat. Beide redeten ein wenig über die Wahl, dann sagte Haseloff, eher zaghaft: "Alles wird gut, Frau Budde". Budde antwortete: "Das ist mein Spruch!"

Ob es für Haseloff und Budde so kommt, wird der Sonntag weisen. Bis dahin gilt: Germania schläft noch.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2899649
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.03.2016/ewid
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.