Sachsen-Anhalt:Tumult im Gerichtssaal

Es drohte ein zweites Chemnitz zu werden: Ein Deutscher stirbt nach einer Prügelei mit zwei Afghanen, Neonazis marschieren auf. Nun wurden die Angeklagten verurteilt, doch dabei kam es zu Protesten im Gerichtssaal.

Von Antonie Rietzschel, Dessau-Roßlau

Richterin Uda Schmidt versucht der Familie von Markus B. Trost zuzusprechen. "Ein junger Mensch ist gestorben. Es gibt kaum etwas Schlimmeres, als wenn Eltern ihren Sohn so jung verlieren." Weiter kommt sie nicht. Daniel B., der Bruder des Toten, steht auf. "Ich habe gesehen wie sie auf ihn eingetreten haben", ruft er. Dann wirft er den Tisch vor sich um, läuft auf die Angeklagten zu. Justizbeamte ziehen Hedajatullah H. und Ezatullah M. aus dem Saal. Ein Beamter nimmt den Wütenden in den Polizeigriff. Nach einer Ermahnung geht die Urteilsverlesung weiter. Drei Polizisten postieren sich hinter Daniel B. Der folgt den weiteren Ausführungen regungslos. Die beiden Afghanen werden wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einem Jahr und acht Monaten beziehungsweise zu einem Jahr und fünf Monaten Haft verurteilt.

Nach dem Tod von Markus B. marschierten Tausende auf, unter ihnen bekannte Neonazis

Anderthalb Stunden nimmt sich Uda Schmidt Zeit, ihr Urteil zu begründen. Sie will keine Zweifel bei der Bewertung des Falls aufkommen lassen. Auch wegen der politischen Brisanz. Nach dem Tod von Markus B. am 8. September 2018 hatten sich in Köthen Tausende Menschen für einen "Schweigemarsch" versammelt, darunter bekannte NPD-Politiker und Neonazis, die vom "Rassenkrieg gegen das deutsche Volk" sprachen. Stadt und Land reagierten schnell, um ähnliche Szenen wie zuvor in Chemnitz zu verhindern, wo der Tod eines Deutsch-Kubaners zu rechtsextremen Ausschreitungen geführt hatte.

Im Fall von Köthen informierten Polizei und Justiz über aktuelle Ermittlungsergebnisse und widersprachen offensiv angeblichen Zeugenaussagen, die in sozialen Netzwerken kursierten. Dennoch hielt sich das Gerücht, Markus B. sei von Afghanen ermordet worden. Selbst als bekannt wurde, dass er an einem Herzinfarkt verstarb.

Auch im Prozess gestaltete sich die Beweisaufnahme schwierig. Die Angeklagten sowie einzelne Zeugen waren zur Tatzeit schwer alkoholisiert, konnten sich nicht erinnern, widersprachen sich. Am Ende gelang es dem Landgericht dennoch, den Ablauf zu rekonstruieren. Am Abend des 8. Septembers 2018 stellten Hedajatullah H. und Ezatullah M. auf einem Spielplatz eine Bekannte wegen ihrer Schwangerschaft zur Rede. Es kursierten Gerüchte, wonach nicht, wie von der Frau behauptet, der beste Kumpel von Hedajatullah H. der Vater sei. Es kam zum Streit. Die junge Frau bestätigte den Verdacht, wonach ein gemeinsamer Bekannter der Vater sei. Eben jener saß neben ihr auf der Bank. Hedajatullah H. schlug den Landsmann mit der Faust ins Gesicht, sie wälzten sich auf dem Boden. Markus B., der zufällig zugegen war, ging auf die Männer zu. Hedajatullah H. versetzte B. einen Stoß. Der stürzte ungebremst zu Boden und blieb liegen. Das Landgericht sieht es als erwiesen an, dass Ezatullah M. dann noch gegen den Kopf von Markus B. trat. B. hatte einen angeborenen Herzfehler und erlitt offenbar bereits beim Sturz einen Herzstillstand.

Richterin Uda Schmidt betont in der Urteilsbegründung, der junge Mann hätte jederzeit einen Herzinfarkt erleiden können. Von einem tragischen Unfall will sie dennoch nicht sprechen. Die beiden Angeklagten hätten durch ihr fahrlässiges Verhalten den Tod von Markus B. herbeigeführt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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