Sachsen-Anhalt:"Keinerlei Aussicht auf Erfolg"

Sachsen-Anhalt: Widerstand, so offen wie nie: Teile seiner CDU-Fraktion haben Ministerpräsident Reiner Haseloff die Unterstützung verweigert.

Widerstand, so offen wie nie: Teile seiner CDU-Fraktion haben Ministerpräsident Reiner Haseloff die Unterstützung verweigert.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die schwarz-rot-gelbe Koalition in Sachsen-Anhalt scheitert an der Wahl eines Datenschutzbeauftragten - schon wieder. Die Grünen attestierten der CDU einen "beeindruckenden Tiefpunkt von Führungslosigkeit".

Von Iris Mayer, Leipzig

Die erste Schrecksekunde gab es im Magdeburger Landtag gleich am Donnerstagmorgen. Landtagspräsident Gunnar Schellenberger hatte die 28. Sitzung gerade eröffnet, als sein Podiumssitz plötzlich nach unten sackte. "Uaah", entfuhr es dem CDU-Politiker ins offene Mikro, "da ging er, der Stuhl." Schellenberger arbeitete sich schnell wieder nach oben und machte einfach weiter, doch wirklich angenehmer wurde es nicht. Eine halbe Stunde später musste er verkünden, dass es dem Landtag auch nach vier Jahren und im fünften Anlauf nicht gelungen war, einen Datenschutzbeauftragten zu wählen. Er stelle daher fest: "Es gibt keinerlei Aussicht auf Erfolg. Aus diesem Grund beende ich hiermit das Verfahren."

Was auf den ersten Blick ein Desaster für den Datenschutz ist, dürfte sich auf den zweiten auch zur Belastungsprobe für die schwarz-rot-gelbe Deutschland-Koalition auswachsen. Denn es war die CDU-Fraktion, die dem Kandidaten am Donnerstag eine krachende Abstimmungsniederlage bescherte. Ganze 16 Ja-Stimmen bekam Albert Cohaus, der seit zwei Jahren interimsmäßig die Geschäfte des Landesdatenschutzbeauftragten führt und als fachlich anerkannt beschrieben werden darf. 51 Abgeordnete stimmten mit Nein, elf enthielten sich. 49 Stimmen wären für die Wahl nötig gewesen, CDU, SPD und FDP kommen zusammen auf 56, die CDU ist mit 40 Sitzen stärkste Fraktion.

"Ein Verstoß ohne Vergleich"

Rein rechnerisch könnte CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff allein mit der SPD regieren, er formte aber im Sommer 2021 ein Dreierbündnis mit der FDP, weil er sich der Unterstützung seiner ausgesprochen selbstbewussten CDU-Fraktion nicht immer sicher sein konnte. Den strikten Abgrenzungskurs zur AfD beispielsweise finden dort nicht alle richtig. So offen wie am Donnerstag zeigte sich der Widerstand aber bislang nicht. Noch Anfang der Woche hatte Fraktionschef Guido Heuer Unterstützung für Cohaus signalisiert: "Ich gehe davon aus, dass wir einen Datenschutzbeauftragen wählen werden", sagte er am Montag.

Am Mittwoch erklärte Heuer überraschend, die Abstimmung in der CDU-Fraktion sei freigegeben. Damit stand das zweite Scheitern von Cohaus praktisch fest. Im März hatten ihm nur drei Stimmen zur Mehrheit gefehlt, seitdem wird spekuliert, dass Teile der CDU-Fraktion lieber einen Parteifreund statt eines Experten im Amt sähen. Die Nichtwahl eines Datenschutzbeauftragten hat in Magdeburg schon Tradition: Dreimal verfehlte 2018 der Kandidat der damaligen Kenia-Koalition die nötige Mehrheit.

Entsprechend heftig fielen am Donnerstag die Reaktionen aus. "Es macht mich fassungslos", sagte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber der Süddeutschen Zeitung: "Dieser Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung ist in der gesamten Europäischen Union ohne Vergleich." Es sei nicht auszuschließen, dass die EU-Kommission nun ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleite.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Sebastian Striegel, twitterte: "Dass Ministerpräsident Haseloff dabei zuschaut, wie sein Fraktionsvorsitzender die zahlenmäßig überaus komfortable Regierungsmehrheit schrotet, ist ein auch für CDU-Maßstäbe beeindruckender Tiefpunkt von Führungslosigkeit." Die Koalition gestalte nichts mehr: "Ihre Mehrheit reicht nur noch zum Nein." Linken-Fraktions-Chefin Eva von Angern sprach von einem inakzeptablen Debakel: "Sie sollten darüber nachdenken, ob sie würdig sind, eine Regierung zu tragen."

FDP und SPD zeigten sich enttäuscht. SPD-Fraktionschefin Katja Pähle sagte: "Es ist ein Trauerspiel, dass es im Landtag von Sachsen-Anhalt nicht möglich ist, wie in allen anderen Landtagen einen Datenschutzbeauftragten zu wählen." Man werde nun in der Koalition nach Lösungen suchen. Cohaus selbst gab sich gegenüber der SZ gefasst: "Man ist da als Bewerber zwischen den politischen Fronten". Die Geschäfte werde er weiter interimsmäßig führen. Seine Pensionierung steht im April 2025 an.

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