Rechtsterrorismus:Attentäter von Halle legt umfassendes Geständnis ab

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Blumen und Kerzen stehen neben einer Mauer der Synagoge, vier Tage nach dem rechtsextremistischen Anschlag auf die Gemeinde im Oktober 2019. (Foto: dpa)
  • In den nächsten Tagen wird die Bundesanwaltschaft Anklage gegen den Attentäter von Halle erheben.
  • Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hat der rechtsextreme Beschuldigte bereits ein Geständnis abgelegt.
  • Der 28-Jährige hatte im Oktober 2019 versucht, in eine Synagoge einzudringen und dort Menschen umzubringen. Als er an der Tür scheiterte, tötete er zwei Passanten und verletzte zwei weitere Personen.

Von Annette Ramelsberger

Der Mann war schon 27, aber er lebte in einer engen Welt. Ohne Partnerin, ohne Freunde, in einem winzigen Zimmer in dem kleinen Dorf Benndorf bei Eisleben, in der Wohnung seiner Mutter. Er hatte acht, höchstens neun Quadratmeter für sich - für mehr als ein Bett, einen Schrank und einen kleinen Schreibtisch war kein Platz. Auf diesen acht Quadratmetern fristete Stephan B. sein Leben, er kam nur raus, um mit seiner Mutter etwas zu essen oder in der Werkstatt seines Vaters zu basteln. Aber er hatte einen Weg gefunden, aus dieser Welt zu fliehen. Er öffnete seinen Laptop und traf sich mit Gleichgesinnten, in den USA, in Australien, in Neuseeland. Als er vor einem Jahr das Attentat des Rechtextremisten Brenton T. auf zwei Moscheen in Christchurch mitbekam, wusste er, was er zu tun hatte: Er begann sich zu bewaffnen. Die Gewehre versteckte er in seinem Zimmer, im Bettkasten.

Sechs Monate später wollte er tun, was sein Vorbild in Christchurch getan hatte. Nur waren seine bevorzugten Gegner nicht Muslime, sondern Juden. Er betrachtete sie als Ursprung allen Übels, schuld an der Flüchtlingskrise, an der Emanzipation der Frauen und daran, dass er selbst nichts zustande gebracht hatte.

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Stephan B. fuhr am 9. Oktober 2019 schwer bewaffnet nach Halle und versuchte am höchsten jüdischen Feiertag Yom Kippur die Synagoge zu stürmen. Als ihm das nicht gelang, ermordete er vor der Synagoge eine Frau, fuhr dann zu einem Dönerrestaurant und erschoss einen jungen Mann. Er gab Schüsse auf weitere neun Menschen ab, die nur mit Glück überlebten: mal konnten sie sich gerade noch in fremde Wohnungen retten, mal klemmten Stepan B.s Waffen, mal ging ein Schuss Millimeter an der Halsschlagader eines Opfers vorbei.

Die Bundesanwaltschaft wird nun in den nächsten Tagen Anklage gegen den Attentäter von Halle erheben. Sie wirft dem mittlerweile 28 Jahre alten Rechtsextremisten zwei Morde und neun Mordversuche vor. Begangen aus niedrigen Beweggründen, aus Judenhass. Seine Taten hätten das Potenzial, das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft zu schädigen.

Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hat Stephan B. ein ausführliches Geständnis abgelegt. Darin bereute er die Tat - aber nur deswegen, weil er zu wenige Menschen getötet habe und auch noch die falschen. Seine Opfer waren keine Juden, keine Migranten. Als er ihre Namen hörte, Jana Lange und Kevin Schwarze, zuckte er zusammen. So notierten es die BKA-Beamten. Er hatte es nach eigenen Aussagen in erster Linie auf Juden abgesehen und war danach auf Menschen in dem Dönerladen ausgewichen, die er abschätzig "Nahöstler" nannte.

Stephan B. berichtete den Ermittlern stolz, wie er sich seine Waffen selbst zusammengebaut habe - aus Metallrohren und mit einem 3-D-Drucker. Auch seine Molotow-Cocktails und Splitterbomben, die er mit sich trug, hatte er selbst hergestellt. Die Munitionshülsen hatte er gebraucht bestellt und sie dann von Hand gefüllt. Viel Geld dafür brauchte er nicht: Er verkaufte seine Zinnfiguren und nahm dafür 4000 Euro ein.

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Er handelte wohl allein, hatte aber Gleichgesinnte

Die Ermittler konnten keine Helfer oder Mitwisser des Attentats ausmachen. Stephan B. handelte offenbar völlig allein, er radikalisierte sich auch selbst. Allerdings hatte er geistige Unterstützung: Er traf sich im Netz anonym auf sogenannten Image Boards mit Gleichgesinnten, vor allem aus den USA. Gegenseitig bestärkten sie sich in ihrem Juden- und Frauenhass. Er nannte sie "unzufriedene weiße Männer", und rechnete sich da auch selbst dazu. Seine Tat nahm er per Video auf und streamte sie im Internet. Dabei entschuldigte er sich bereits bei seiner imaginären Männer-Community, weil er versagt habe.

Stephan B. hat ein sehr gutes Abitur gemacht, er studierte Chemie in Halle, fand aber nach einer schweren Operation nicht ins Leben zurück, sondern lebte fünf Jahre lang nur von Zuwendungen seiner Mutter. Er gab die Schuld den Juden: Sie drängten ihn aus seinem Leben. Auf seinem Computer sicherten die Ermittler zahlreiche Videos, auf denen Menschen auf brutalste Art umgebracht werden. Ein Film zeigt, wie der sogenannte Islamische Staat zwei türkische Soldaten bei lebendigem Leib verbrennt und wie ein Mann gesteinigt wird.

Stephan B. galt schon vor seiner Operation als menschenscheu. Er selbst nennt sich sozial unbeholfen und sieht bei sich autistische Züge. Der Mann gilt nach Einschätzung von Experten aber als schuldfähig.

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