Süddeutsche Zeitung

Affäre Sabathil:"Ich hatte immer ein reines Gewissen"

Die Lebensgefährtin des ehemaligen EU-Spitzendiplomaten Gerhard Sabathil wehrt sich gegen den Verdacht, sie habe für China spioniert. Nun fordert sie detaillierte Auskunft über die Überwachungsmaßnahmen.

Von Kai Strittmatter

Als vor einem Jahr bekannt wurde, der ehemalige EU-Spitzendiplomat und Lobbyist Gerhard Sabathil werde der Spionage für China verdächtigt, da sorgten die Ermittlungen des Verfassungsschutzes für Schlagzeilen. Am Ende sah die Bundesanwaltschaft den Verdacht nicht erhärtet: Sie stellte das Verfahren im November ein. "Man hat mein privates und mein öffentliches Leben zerstört", hatte Gerhard Sabathil zuvor geklagt.

Nun meldet sich zum ersten Mal Sabathils Lebensgefährtin öffentlich zu Wort, die chinesische Politikwissenschaftlerin Wenwen Shen. Im Gespräch mit der SZ fordert sie von den beteiligten Bundesbehörden Aufklärung darüber, weshalb und in welchem Ausmaß sie selbst zum Ziel von Überwachungsmaßnahmen wurde, obwohl die Bundesanwaltschaft sie stets nur als Zeugin und nicht als Verdächtige geführt hatte. Außerdem wehrt sie sich gegen Verdächtigungen durch Teile der chinesischen Dissidentenszene in Berlin.

"Ich hatte immer ein reines Gewissen."

Die Vorfälle des vergangenen Jahres seien für sie "traumatisierend" gewesen, sagt Wenwen Shen. Durch die Einstellung des Verfahrens aber fühle sie sich bestätigt: "Ich hatte immer ein reines Gewissen."

Das Paar musste sich schon einmal gegen Verdächtigungen wehren. 2015 war Sabathil EU-Direktor in Brüssel. Damals fiel er auf, weil er seiner Lebensgefährtin Wenwen Shen ein als Verschlusssache eingestuftes EU-Dokument über die Umweltsituation in China zukommen lassen wollte. Als das Bundesinnenministerium davon erfuhr, verweigerte es Gerhard Sabathil eine erneute Sicherheitsüberprüfung. Er musste Ende 2016 deshalb als Botschafter in Seoul abtreten. "Das war null Komma null Geheimes", sagte Sabathil später der SZ. Und Wenwen Shen betont heute, sie habe "nie nach dem Dokument gefragt, es nie erhalten und bis heute nie gelesen".

Die beiden zogen nach Berlin. Sabathil zählte als Geschäftsführer der Lobbyfirma Eutop auch den chinesischen Telekommunikationskonzern Huawei zu seinen Klienten. Gleichzeitig pflegte das Paar bald Freundschaften zu chinesischen Dissidenten, vor allem zu Liu Xia, der Witwe des im Gewahrsam der chinesischen Behörden gestorbenen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Liu Xia war die weltweit wohl prominenteste Oppositionelle Chinas: Jahrelanger Druck der Bundesregierung hatte 2018 dafür gesorgt, dass sie aus Peking nach Berlin ausreisen durfte.

Nach ihrer Ankunft in Berlin ging Liu Xia bald bei der Familie von Sabathil und Wenwen Shen ein und aus. Die beiden halfen Liu Xia, eine Krankenkasse zu finden, Wenwen Shen dolmetschte für sie. Sie habe früher schon über die Sache der Menschenrechte geforscht, sagt sie. "Ich dachte, wenn ich Liu Xia helfe, in Berlin heimisch zu werden, kann ich mich mehr nützlich machen als mit akademischen Artikeln."

Allerdings ging diese Freundschaft mit Liu Xia und auch mit Liu Xias Vertrauter Su Yutong bald in die Brüche, und zwar schon lange vor Bekanntwerden der Ermittlungen gegen Sabathil. Bekannten gegenüber schilderten Liu Xia und Su Yutong manches Verhalten von Sabathil und Wenwen Shen als suspekt. Die Exiljournalistin und Aktivistin Su Yutong ging im Sommer 2019 sogar zum Außenministerium in Berlin, um von ihrem Misstrauen zu berichten.

Der Streit mit Liu Xias Vertrauter geht weiter

Als der Spionageverdacht gegen Sabathil dann im Januar 2020 publik wurde, schreckte das die Dissidenten auf. In der Folge berichteten mehrere internationale Zeitungen, darunter auch die SZ, über die Spekulationen der Szene, sie könnten einem Spitzel aufgesessen sein. Klar war aber schon bald: Im offiziellen Ermittlungsverfahren hatte die einstmalige Freundschaft von Sabathil zu den Dissidenten bis dahin keine Rolle gespielt.

"Wir waren sehr naiv, als wir in Berlin ankamen; wir versuchten einfach nur zu helfen", sagt Wenwen Shen. Sie beklagt das "Ausmaß an Paranoia" bei den einstigen Dissidentenfreunden und ihre "Bereitschaft, ausgerechnet die Menschen zu verletzen, die ihnen in Wirklichkeit halfen". So sei es etwa falsch zu behaupten, Gerhard Sabathil und sie hätten im April 2019 versucht, Liu Xias Teilnahme an einer Ausstellung über ihren Ehemann Liu Xiaobo und dessen Rolle bei der Demokratiebewegung am Tiananmenplatz 1989 in Prag zu verhindern. Sie habe lediglich für Liu Xia übersetzt und dabei stets das Beste für sie und für die Sicherheit ihrer in China zurückgebliebenen Familie im Auge gehabt.

Die Prag-Geschichte war von Liu Xias Vertrauter Su Yutong und den Organisatoren der Ausstellung an die Öffentlichkeit getragen worden. Su Yutong hatte schon im Januar 2020 Wenwen Shen und Gerhard Sabathil bei der Bundesanwaltschaft angezeigt. Sabathil seinerseits erstattete nun nach Einstellung des Verfahrens Anzeige gegen Su Yutong wegen "falscher Verdächtigung". Su Yutong sagte der SZ, sie stehe bis heute zu jeder ihrer Aussagen.

Wenwen Shen wiederum erzählt von der Überwachung ihrer Telefonate und E-Mails und von der Beschlagnahmung ihrer Tagebücher. Sie wolle Auskunft darüber, sagt sie, wie es von Seiten der Behörden zu diesem für sie "kafkaesken Alptraum" habe kommen können: "Bis heute hat im Verfassungsschutz keiner dafür Verantwortung übernommen". Über die Hintergründe der Ermittlungen lässt sich bislang nur spekulieren: Die Akten sind als Geheimsache unter Verschluss.

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