Bergbau im SaarlandWer andern eine Grube gräbt

Lesezeit: 4 Min.

Das Bergbaudenkmal Saarpolygon erinnert an die Zeiten, in denen im Saarland die Steinkohle- und Stahlindustrie blühten.
Das Bergbaudenkmal Saarpolygon erinnert an die Zeiten, in denen im Saarland die Steinkohle- und Stahlindustrie blühten. (Foto: BeckerBredel/Imago)

Im Saarland sollen die alten Bergwerke geflutet werden, so will es der Bergbaukonzern RAG. Bürgermeister Peter Lehnert hält das für gefährlich. Über einen Streit, der bald wieder die Justiz beschäftigen wird.

Von Gianna Niewel, Nalbach

Peter Lehnert schaut noch einmal auf die Bergehalde Ensdorf bei Saarlouis im Saarland, auf Geröll und Gräser und das Saarpolygon, ein Denkmal, das aussieht, als hätte ein Riese Stahlgitter verformt. Es soll an den Steinkohlebergbau im Land erinnern. „Alles Folklore“, sagt Peter Lehnert und lässt sein Auto an. Dann fährt er weg von einem Ort, der für ihn ein unversöhnlicher ist.

Das Rathaus der Gemeinde Nalbach liegt wenige Kilometer entfernt, seit 2012 ist er hier parteiloser Bürgermeister. Schon damals warb er mit einem Thema, das ihn bis heute umtreibt: Was soll passieren mit den unterirdischen Gruben, in die noch immer Regenwasser sickert und sich sammelt? Der Bergbaukonzern RAG würde dieses Grubenwasser am liebsten gar nicht mehr abpumpen, um Energie und Kosten zu sparen. Allein im vergangenen Jahr waren es laut Konzern 30 Millionen Euro für 19 Millionen Kubikmeter Wasser. Bürgermeister Peter Lehnert hält das für falsch, die Folgen der Flutungen seien nicht absehbar. Wie also soll umgegangen werden mit dem Erbe des Steinkohlebergbaus?

Das letzte Bergwerk im Saarland hat 2012 dichtgemacht

Es ist ein Streit, der im Saarland tief unter die Erde führt, weit in die Vergangenheit – und immer wieder vor verschiedene Gerichte. Vor dem Oberverwaltungsgericht hat die Gemeinde von Peter Lehnert gemeinsam mit anderen gegen die Pläne von RAG und Oberbergamt geklagt. Die Klagen wurden abgewiesen, und so muss er bis Ende der Woche entscheiden, ob er an seinem Widerspruch festhalten will, ob sich der Kampf noch lohnt.

Wenn Peter Lehnert vom Bergbau erzählt, erzählt er von seinem Opa, vom Stolz der Männer, die Kohle aus dem Stein schlugen und mit dieser Kohle das ganze Land reich machten. Wenn seine Eltern keinen Friseursalon gehabt hätten, wäre er vermutlich Bergmann geworden, sagt er, so wurde er Friseur. Einmal sollte er auf einer Messe in Berlin das Saarland vertreten, da habe er in einer Bergmannsuniform das Bergmannslied gesungen, „Glück auf, Glück auf! Der Steiger kommt“. Es war auch sein Stolz – zumindest sehr lange.

2018 wurde in Deutschland der Steinkohlebergbau offiziell beendet, auf der Zeche Prosper-Haniel in Nordrhein-Westfalen drückte ein Steiger Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das letzte Stück Kohle in die Hand. Im Saarland hatte schon 2012 das letzte Bergwerk dicht gemacht. Dort würde der Konzern nun gern in einem ersten Schritt das Wasser in den Gruben auf etwa 500 Meter unter der Tagesoberfläche ansteigen lassen, und in einem zweiten Schritt gar nicht mehr abpumpen und in die Saar leiten.

„Das wäre Wahnsinn“, sagt Bürgermeister Peter Lehnert in seinem Büro, „Wahn-sinn.“ Und darauf hat er keine Lust.

Lehnert kann sich noch gut an die Erdbeben erinnern

Peter Lehnert ist 66 Jahre alt, er kann sich noch gut daran erinnern, wie aus seinem Stolz auf den Bergbau Sorge um die Zukunft der Region wurde. In den 2000er-Jahren bebte die Erde hier mehrmals im Jahr, 2001 etwa, als bei einem Stolleneinbruch im benachbarten Lothringen ein Bergmann starb. Oder 2008, Stärke 4,0 auf der Richterskala. In Saarlouis fiel der Strom aus, in Saarwellingen sackten Wohnhäuser ab. 8000 Menschen meldeten Schäden in Millionenhöhe. Damals galt es als das stärkste jemals durch den Bergbau ausgelöste Beben, nur wenige Wochen später beschloss der Aufsichtsrat der RAG, den Bergbau im Saarland vorzeitig auslaufen zu lassen.

Peter Lehnert weiß nicht mehr genau, wie oft er selbst Entschädigungen bei der RAG beantragt hat, für abgeplatzten Putz, für gerissene Wände. Ein ewiges Bittstellen. Erst 2011 habe er 11 000 Euro bekommen, „ein Bruchteil vom Schaden“, und so bekam noch etwas anderes Risse: sein Vertrauen in den Konzern. Wenn der also gern die Gruben fluten lassen würde, ist Lehnert vor allem skeptisch.

Die RAG sagt: Durch den Grubenwasseranstieg sind Bodenbewegungen möglich, maximal zehn Zentimeter, wir haben das begutachten lassen.

Peter Lehnert sagt: Reichen zehn Zentimeter etwa nicht? Und wer garantiert, dass es dabei bleibt?

Die RAG sagt: Durch den Grubenwasseranstieg wird das Trinkwasser nicht gefährdet, weil die Trinkwasservorkommen größtenteils weit außerhalb der betroffenen Gebiete liegen.

Peter Lehnert sagt: Ich hab’ keine genauen Daten dazu gesehen.

Die RAG sagt: Wir werden alles, was wir tun, umfassend monitoren.

Und Peter Lehnert? Der lacht.

Wäre das Geld für den Rechtsstreit nicht besser in der Kita angelegt?

In all den Jahren ist er nicht nur Sprecher der Bergbau-Betroffenen im Saarland geworden, er kann mittlerweile auch minutenlang über unkontrollierte Methangasaustritte aus der Erde referieren. Gleichzeitig weiß er, dass er damit selbst in Nalbach nicht mehr alle Menschen erreicht. Der Bergbau, die Beben, es ist so lange her. Kohlenstaubige Erinnerung.

Da sind manche Junge, die für Klima- und Umweltschutz auf die Straße gehen, aber auf ihre Plakate lieber Eisbären auf schmelzenden Schollen malen statt vollgelaufene Gruben. Da sind manche Ältere, die sich noch daran erinnern können, wie alle paar Wochen die Region durchgerüttelt wurde, die aber auch auf den Nalbacher Haushalt schauen. Wären die Tausende Euro für den Rechtsstreit nicht besser in der Kita angelegt? Da sind selbst Ratsmitglieder, die zugeben, so richtig hätten sie „diese Grubensache“ nicht verstanden, die dafür aber mitbekommen, dass andere Gemeinden entschieden haben, aus dem Streit auszusteigen.

In seinem Büro muss Peter Lehnert nicht lange überlegen. Er weiß, dass das Thema in etwa so verworren ist wie ein unterirdisches Schachtsystem, und dass es mittlerweile vielen Menschen im Land anders geht als ihm. Die fahren am Saarpolygon vorbei, diesem Industriedenkmal auf der Bergehalde, und finden es einfach nur schön. Trotzdem hat er entschieden, dass seine Gemeinde weiter vor Gericht kämpfen wird. Es seien zu viele Fragen offen, zu viele mögliche Folgen der Flutungen nicht geklärt, für ihn hat das etwas mit Verantwortung zu tun. Er ist doch der Bürgermeister.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Atommüllager Asse II
:Wenn alles wieder hochkommt

Während konservative Politiker gerade wieder munter die Vorzüge von Atomstrom loben, kämpfen die Menschen in der Asse-Region mit dem Atommüll, der schon da ist. Sie sehen es hier so: Nehmt ihr den Dreck doch.

SZ PlusVon Michael Bauchmüller, Ulrike Nimz und Jana Stegemann

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: