Zwangslandung in Belarus:Selten - aber kein Novum

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Illegale Entführung? Die belarussischen Behörden haben am Sonntag eine Ryanair-Maschine zur Landung in Minsk gezwungen. (Foto: Mindaugas Kulbis/AP)

Ob die erzwungene Landung der Ryanair-Maschine rechtlich als Entführung gilt, ist nicht eindeutig. Doch Minsk kann sich schwerlich auf internationale Luftfahrtabkommen berufen.

Von Jens Flottau

Die erzwungene Landung einer Boeing 737 der Ryanair in Minsk schlägt nicht nur politisch enorm hohe Wellen, sondern sorgt auch in der Luftfahrtbranche für große Aufregung. Der internationale Pilotenverband IFALPA sprach von einer "illegalen Entführung" und kritisierte, der Vorfall mache es womöglich nun viel schwieriger, künftig auf Bombendrohungen oder sogar die Präsenz von Abfangjägern angemessen zu reagieren. Die Staatengemeinschaft müsse schnell handeln, um Ähnliches in der Zukunft zu vermeiden.

Belarus hatte die Besatzung des Fluges FR4978 kurz vor dem Verlassen des belarussischen Luftraums wegen einer angeblichen Bombe an Bord zur Landung in Minsk aufgefordert. Ein Kampfflugzeug war gestartet und hielt sich in der Nähe der Maschine auf, angeblich in einer Entfernung von rund 40 Kilometern. Während sich die westliche Welt und die Branche einig sind in der politischen und moralischen Bewertung, ist es nicht ganz so eindeutig, ob es sich im luftfahrtrechtlichen Sinne wirklich um eine Entführung gehandelt hat. Das Tokioter Abkommen von 1963, das sich mit dem rechtlichen Status von Flugzeugen im internationalen Luftverkehr befasst, definiert eine Entführung als den gewaltsamen Eingriff einer Person an Bord. Aufschlussreicher ist die Chicagoer Konvention, die die rechtlichen Grundlagen des Luftverkehrs grundsätzlicher regelt.

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Gemäß der Konvention aus dem Jahr 1944 genießen Staaten zwar letztlich die Hoheit über ihren Luftraum, das heißt aber nicht, dass sie willkürlich Flugzeuge zur Landung zwingen können. Ganz im Gegenteil: Das ist nur dann möglich, wenn die Flugzeuge ihre Souveränität beeinträchtigen, also etwa unberechtigterweise in den Luftraum eingedrungen sind. Das war bei dem Ryanair-Flug ganz offensichtlich nicht der Fall, und somit bietet auch diese Konvention Belarus eher keine Argumentationsgrundlage.

Vorfälle wie dieser sind äußerst selten und in der Regel kaum direkt vergleichbar. Streitigkeiten, die Fragen wie die Souveränität des Luftraums und Zwangsmaßnahmen von Regierungen im Luftverkehr betreffen, sind aber kein komplettes Novum. 2013 musste das Flugzeug des damaligen bolivianischen Präsidenten Evo Morales in Wien zwischenlanden, nachdem mehrere europäische Länder ihren Luftraum für den Überflug in Richtung Südamerika gesperrt hatten. Die USA vermuteten damals, der Whistleblower Edward Snowden könnte an Bord der Maschine sein, was sich als falsch herausstellte. Die österreichischen Behörden kontrollierten bei dem zwölfstündigen Zwischenstopp die Pässe aller Personen an Bord. Anschließend hoben die Staaten, darunter Frankreich, Spanien und Portugal, die Sperre auf. Morales konnte in seine Heimat weiterfliegen.

1956 zwang Frankreich eine DC-3 der Air Atlas/Air Maroc auf dem Weg von Rabat nach Tunis zur Landung im damals französisch kontrollierten Algier und nahm dort mehrere Führungsleute der algerischen Befreiungsfront FLN fest, unter ihnen Ahmed Ben Bella, der 1963 erster Präsident Algeriens wurde. Frankreich hatte sich auf eine schon damals zweifelhafte Argumentation verlegt: Das Flugzeug sei französisch registriert gewesen - und damit unter der Hoheit des Landes gestanden.

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