Wegmarken von Ruth Bader Ginsburg:Die Vorkämpferin

People gather to mourn the death of Associate Justice Ruth Bader Ginsburg at the Supreme Court in Washington

Vor dem Supreme Court in Washington ehren Menschen die verstorbene Ruth Bader Ginsburg mit Kerzen, Blumen und Dankesschreiben.

(Foto: REUTERS)

Ruth Bader Ginsburg war bis zuletzt Richterin am Supreme Court der USA. Was waren ihre wichtigsten juristischen Entscheidungen? Ein Überblick.

Von Anna Ernst, Theresa Hein und Veronika Wulf

Man kann darüber streiten, ob jemand, der im Alter von 87 Jahren stirbt, "zu früh" geht. Für Ruth Bader Ginsburg, Richterin am Supreme Court der USA und feministische Ikone, war es auf jeden Fall "zu früh". Nur wenige Tage vor ihrem Tod an diesem Freitag hatte sie ihrer Enkeltochter noch ein Statement diktiert, in dem es hieß: "Mein sehnlichster Wunsch ist, dass ich nicht ersetzt werde, bevor ein neuer Präsident antritt."

Ob sich dieser Wunsch erfüllt, ist fraglich. Amerika stimmt am 3. November darüber ab, wer in den kommenden vier Jahren als US-Präsident das Land führt. Und noch am Freitag, ihrem Todestag, haben US-Präsident Trump und der Fraktionschef der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, klargemacht, dass sie versuchen wollen, noch vor der Wahl eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für Ruth Bader Ginsburg zu bestätigen.

Wie auch immer die Nachbesetzung ausgeht, den Menschen Ruth Bader Ginsburg wird niemand ersetzen können. Vielen Liberalen galt sie als Ikone. Als Oberste Richterin war die im Stadtteil Brooklyn in New York geborene Bader Ginsburg für ihre zurückhaltende Art und ihre moderat-liberale Haltung bekannt. Sie hat sich wiederholt für das Recht auf Abtreibung eingesetzt und gehörte zu den Richtern, die die gleichgeschlechtliche Ehe landesweit für gesetzmäßig erklärt haben. Sie war gegen die Todesstrafe und unterstützte Barack Obamas Gesundheitsreform.

Zu Lebzeiten der Richterin, zumal nach ihrem 80. Geburtstag, gab es Stimmen, die fanden, Ruth Bader Ginsburg könnte Platz für jemand Neuen im Supreme Court machen. Doch wenn sie gefragt wurde, wie lange sie den Job noch machen wolle, pflegte die exzellente Juristin zu sagen: "Solange ich den Job noch mit vollem Dampf machen kann". Die SZ hat die wichtigsten Stationen ihres juristischen Vermächtnisses zusammengefasst.

Gleichberechtigung der Geschlechter

Bereits im Jahr 1996, drei Jahre nach ihrem Amtsantritt als Beisitzende Richterin am Supreme Court, zeigte sich Bader Ginsburg als glühende Feministin in einem Präzedenzfall. Mit einer 7-zu-1-Mehrheitsentscheidung beendete das Gericht die Zulassungsregeln des prestigeträchtigen, staatlich finanzierten Virginia Military Institute, das bis dahin nur Männern offenstand. Dies verletze die Gleichbehandlungsklausel des 14. Zusatzartikels der Verfassung. Diese Präzedenzentscheidung hatte weitreichende Folgen für alle Gesetze, in denen Frauen in ihren Staatsbürgerrechten benachteiligt wurden - "einfach weil sie Frauen sind", wie Bader Ginsburg in einer Stellungnahme des Gerichts schrieb.

Oft zeigte Ruth Bader Ginsburg als Richterin eine Sichtweise auf, die sie bei ihren männlichen Kollegen vermisste. Etwa 2007, als der Supreme Court mit fünf zu vier Stimmen dafür entschied, ein bundesweites Verbot für späte Abtreibungen aufrechtzuerhalten. Damals stellte Bader Ginsburg die Annahme der rein männlichen Mehrheit infrage, dass Frauen Abtreibungen immer bereuen könnten und ihr Selbstwertgefühl unter einem Schwangerschaftsabbruch leiden könnte. Diese Denkweise "spiegelt eine veraltete Vorstellung vom Platz der Frauen in der Familie und gemäß der Verfassung wider", schrieb sie. Auch in anderen Verfahren setzte sich Ruth Bader Ginsburg für ein Recht auf Abtreibung ein. Mal war sie auf Seiten der Mehrheit, mal auf Seiten der Minderheit, doch stets auf Seiten der Frauen, die ihrer Meinung nach ein Recht auf eine eigene Entscheidung haben sollten. Es sei nicht Sache einer Regierung, diese Entscheidung für eine Frau zu treffen, sagte Bader Ginsburg 2009 in einem Interview.

Im selben Jahr entschied der Supreme Court mit 7-zu-1-Stimmen, dass eine Schule zu weit gegangen war, die ein 13-jähriges Mädchen bei einer Drogenkontrolle bis auf die Unterwäsche ausziehen ließ. Dass das Ergebnis so eindeutig ausfiel, soll auch dem Einfluss von Bader Ginsburg zu verdanken sein. Dennoch merkte sie an, dass die Entscheidung ihr nicht weit genug ging: Sie wollte, dass die Schülerin das Recht erhielt, die Verantwortlichen individuell zu verklagen.

Auch für die Rechte Homosexueller setzte sich Ruth Bader Ginsburg ein: 2003 stimmte sie - wie die Mehrheit des Gerichts - für die Abschaffung der Sodomiegesetze, die homosexuelle Praktiken kriminalisierten. 2015 votierte sie bei einem mit fünf zu vier Stimmen knappen Urteil gegen ein Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe. Im Sommer 2015 wurde die sogenannte Homo-Ehe in allen Bundesstaaten der USA für zulässig erklärt.

Todesstrafe

Mehrfach setzte sich Ruth Bader Ginsburg für die Einschränkung der Todesstrafe ein. 1976, als Bader Ginsburg noch an der Columbia Law School unterrichtete, hatte der Supreme Court entschieden, dass die Todesstrafe in den USA legal sei. 2002 schränkte das höchste Gericht sie mit Unterstützung von Bader Ginsburg ein: Mit einer 6-zu-3-Mehrheit erklärte er die Hinrichtung von geistig behinderten Menschen für verfassungswidrig. Drei Jahre später stimmte Bader Ginsburg bei einem erneut knappen Urteil (fünf zu vier Richterstimmen) für die Verfassungswidrigkeit von Todesurteilen für noch nicht 18-jährige Straftäter.

Auf die Frage, wie die Zukunft der Todesstrafe in den USA aussehen könnte, hat sich Bader Ginsburg 2017 bei einer öffentlichen Diskussion der Washingtoner Juristenvereinigung geäußert. Immer weniger Bundesstaaten würden die Todesstrafe vollstrecken. Dadurch würden die USA "möglicherweise ein Ende der Todesstrafe" sehen - "durch Zermürbung".

Obamacare

2012 entschied Ruth Bader Ginsburg gemeinsam mit vier anderen Richtern des Supreme Courts zugunsten der von Präsident Barack Obama eingeführten Gesundheitsreform. Zuvor hatten 26 Bundesstaaten das größte innenpolitische Projekt von Barack Obama angefochten. Mit der Reform erhielten ab dem Jahr 2014 Millionen bislang unversicherter US-Bürger eine Krankenversicherung. Die Subventionen sollen besonders Menschen mit geringem Einkommen helfen, sich eine Krankenversicherung leisten zu können.

Doch seit seiner Einführung ist "Obamacare" immer wieder Gegenstand vor Gericht. Die nächste Abstimmung darüber soll es im November 2020 geben - eine Woche nach den Wahlen, vor dem dann vermutlich neu besetzten Supreme Court. Donald Trump hat angekündigt, "Obamacare" durch "etwas Wunderbares" ersetzen zu wollen. Im Jahr 2012 hatte Ruth Bader Ginsburg bei der Abstimmung im Obersten Gericht zu Obamacare noch deutlich gemacht: "Die Bereitstellung medizinischer Versorgung ist ein Anliegen von nationaler Dimension."

Waffenrecht

Zum ersten Mal in seiner Geschichte befasste sich der Supreme Court 2008 mit dem Second Amendment, dem zweiten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der das Recht eines jeden Bürgers festschreibt, zu privaten Zwecken eine Waffe zu besitzen.

Damals erhoben sechs Einwohner Washingtons Klage gegen ein Gesetz, das den Besitz von Handfeuerwaffen für Washingtoner verbietet. Am 26. Juni 2008 traf der Oberste Gerichtshof seine wegweisende wie knappe Entscheidung - mit fünf zu vier Stimmen: "Wir sind der Ansicht, das vom District of Columbia ausgesprochene Verbot des Besitzes von Handfeuerwaffen verstößt ebenso gegen den 2. Verfassungszusatz wie die Bestimmungen, die die Aufbewahrung funktionierender Waffen in Privatbesitz zum Zweck der Selbstverteidigung verbietet." Ruth Bader Ginsburg gehörte zu den Richtern mit abweichender Meinung, sie hielt das Waffenrecht zeitlebens für nicht mehr zeitgemäß.

Bis heute berufen sich insbesondere Lobbygruppen wie die National Rifle Association immer wieder auf die Entscheidung aus dem Jahr 2008. Ebenso auch Präsident Trump, der das Festhalten am "Second Amendment" zum einem seiner großen Wahlkampfthemen gemacht hat. Bader Ginsburg hingegen erklärte 2013 in einem Interview des New Yorker Radios WNYC, dass das "Second Amendment" aus historischer Zeit stamme, in der die Regierung keine Armee finanzieren konnte und deshalb auf bewaffnete Milizen der Bundesstaaten angewesen war. Heute aber sei das anders.

Ruth Bader Ginsburg war von 1954 bis zu dessen Tod 2010 mit dem Steueranwalt und späteren Juraprofessor Martin D. Ginsburg verheiratet. Sie hinterlässt zwei Kinder und vier Enkel.

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