Süddeutsche Zeitung

Russlands Ukraine-Strategie:Panzer statt Milchpulver

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Rechte Russen wollen, dass Putin endlich die Armee in Marsch setzt, um den Verbündeten in der Ukraine zu helfen. Derweil werden in Moskau munter Gerüchte verbreitet, die Putin unter Druck setzen.

Von Julian Hans

Seit dem Morgen laufen im russischen Fernsehen die Bilder: 280 blitzblanke Kamaz-Lastwagen in friedlichem Weiß, beladen mit 2000 Tonnen Babynahrung, Medikamenten, Schlafsäcken und Generatoren für die Menschen in der umkämpften Ostukraine. Von Mittag an fügen die Nachrichtensprecher dann diese Meldung hinzu: Kiew wolle den Hilfskonvoi nicht ins Land lassen. Damit hat Russlands Präsident die Bilder mitsamt der Nachricht geschaffen, die er braucht. Er, Wladimir Putin, will helfen, aber der ukrainische Präsident Petro Poroschenko lässt ihn nicht.

Während die Mahner in den USA, der Europäischen Union und vor allem bei der Nato fürchten, Moskau könnte sich damit den Vorwand für eine als humanitär verschleierte Intervention schaffen, hoffen Optimisten, dass Putin so einen Ausweg aus der Eskalation vorbereitet. Trotz seiner hohen Umfragewerte von weit mehr als 80 Prozent ist der russische Präsident im Inneren unter Druck geraten. Er wird die Geister, die er rief, nicht wieder los. Sein Versprechen, Russen zu beschützen, wo auch immer auf der Welt sie leben, klingt angesichts der mehr als tausend Toten in der Ostukraine immer hohler. Nach dem Sturz von Viktor Janukowitsch im Februar ging es zunächst nur darum, das Recht auf die russische Sprache zu verteidigen. Nun sind wirklich Menschenleben bedroht. Doch offiziell tut der Kreml so, als gäbe es keine Unterstützung für die Separatisten im Donbass, die in den russischen Medien "Volkswehren" heißen.

In Moskau verbreiten sie Dolchstosslegenden

"Putin schicke die Armee", trommeln seither täglich Radikale wie der Anführer der faschistischen Eurasier-Bewegung, Alexander Dugin. Und spätestens seitdem die Kämpfer um den aus Moskau stammenden Igor Girkin die einstigen Hochburgen Kramatorsk und Slawjansk aufgeben mussten, werden in Moskau Dolchstoßlegenden verbreitet: Putin habe die Helden, die mit seinem Segen in den Kampf zogen, im Stich gelassen. Das schafft Druck.

Wenn nun statt der regulären Armee wenigstens ein großer Hilfskonvoi unterwegs ist, würde das den Dolchstoßlegenden etwas entgegensetzen. Doch das ist nur die eine Interpretation, die in Moskau die Runde macht. Es gibt auch ein anderes, pessimistischeres Szenario: Was, wenn der Konvoi nur als Vorwand für eine Entsendung sogenannter "Friedenstruppen" dienen würde, wie sie seit Jahrzehnten in den georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien und in Transnistrien stehen?

Das nächste Treffen: auf der Krim

Ob Putin einen Ausweg aus der Sackgasse wählt oder erneut zum Angriff übergeht, diese Frage macht derzeit Politiker in Brüssel, Berlin und Washington genauso nervös wie viele Beobachter in Moskau. Selbst der kremlnahe Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow urteilte in einer Analyse für die Moscow Times, Putin sei in die Ukraine "gestolpert" und brauche nun dringend eine neue Strategie.

Derzeit weilt Putin auf seiner Residenz in der Nähe von Sotschi. An diesem Mittwoch fliegt er weiter auf die Krim, wo sich schon Vertreter aller Fraktionen der russischen Duma zu ihrer Sommerklausur versammelt haben. Zum Abschluss soll der Präsident eine programmatische Rede halten. Zum ersten Mal auf frisch eingesammeltem russischen Boden. Vielleicht gibt es dann die Antwort darauf, was Putin mit dem Konvoi beabsichtigt.

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Quelle:
SZ vom 13.08.2014
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