Russlands Rolle im Fall Skripal:London unter Zugzwang

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  • Noch immer stellt sich die Frage: Wie belastbar sind Londons Erkenntnisse, die Russlands Beteiligung am Giftangriff auf Ex-Doppelagent Skripal belegen sollen.
  • Chemischen Analysen von Kampfstoffen sind schwer, vor allem, wenn es keine Vergleichsproben gibt.
  • BND-Chef Gerhard Schindler sagt: "Ich glaube, die Beleglage ist nicht so robust."

Von Georg Mascolo

Kriminalistische Untersuchungen gehören oft zu den schwierigsten und langwierigsten Unterfangen überhaupt. Beweise müssen gesichert und analysiert, Zeugen befragt, Widersprüche aufgeklärt werden. Am Ende steht, mühsam zusammengetragen, das Ergebnis. Die Ermittlung wegen versuchten Mordes an dem früheren Oberst des russischen Militärgeheimdienstes GRU, Sergej Skripal, und seiner Tochter Julia, folgte allerdings einem anderen Muster.

Am 4. März wurden die beiden bewusstlos auf einer Parkbank im britischen Salisbury entdeckt und in ein Krankenhaus gebracht. Die medizinische Ursache ihrer Vergiftung ließ sich schnell klären. Experten der nahe Salisbury gelegenen staatlichen britischen Forschungsstätte für Kampfstoffe in Porton Down stellten fest, dass die beiden einem einst in der Sowjetunion entwickelten Kampfstoff aus einer Gruppe namens "Nowitschok" ausgesetzt waren. Die Forscher in Porton Down gehören zu den besten der Welt, seit dem Ersten Weltkrieg wird dort an Kampfstoffen geforscht.

Gerade mal acht Tage nach der Tat schien dann bereits der Urheber des Anschlags festzustehen, die britische Regierungschefin Theresa May beschuldigte Russland der Tat. Ihr Außenminister Boris Johnson schärfte noch nach, "höchstwahrscheinlich" habe Russlands Präsident Wladimir Putin persönlich den ersten Einsatz einer Massenvernichtungswaffe auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg angeordnet, sagte er. Und auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU Ende März in Brüssel überzeugte May mit einem langen Vortrag die meisten ihrer Kollegen, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es folgten Massenausweisungen von Diplomaten und wütende Dementis des Kreml.

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Chemische Analysen sind schwer

Ausgerechnet aus Porton Down kam an diesem Dienstag ein bemerkenswertes Eingeständnis: Deren Chef, Gary Aitkenhead, sagte, man sei gar nicht in der Lage nachzuweisen, dass das Gift tatsächlich in Russland hergestellt worden sei. Solche chemischen Analysen sind schwer, vor allem, wenn es keine Vergleichsproben gibt. Außenminister Boris Johnson aber hatte zuvor in einem Interview mit der Deutschen Welle behauptet, die Experten in Porton Down hätten "keinen Zweifel" an der Herkunft, das hätten sie ihm selbst versichert.

Nun stellt sich die Frage neu: Wie belastbar sind die Belege, die London vorgelegt hat? Haben die britische Regierung und ihre Verbündeten zu schnell auf Russland als einzig möglichen Urheber der Attacke geschlossen? Seit Wochen bemühen sich britische Diplomaten und Geheimdienstler darum, ihre amerikanischen und europäischen Kollegen von der russischen Urheberschaft zu überzeugen. Ihre Argumentation ähnelt jener von Premierministerin May beim Brüsseler Treffen; dort präsentierte sie sogenannte Plausibilitäts-Ketten, wonach es gar keine "andere überzeugende Erklärung" geben könne.

Die Sowjetunion, so die britische Argumentation, habe den Kampfstoff entwickelt, nur professionelle und im Umgang mit Kampfstoffen geschulte Täter seien in der Lage, die Chemikalie nach Großbritannien zu schmuggeln und am Türknopf von Skripals Haus zu platzieren. Kriminelle schieden damit weitgehend aus. Auch das Motiv sei klar: eine Warnung an alle Überläufer, dass ihnen der Tod drohe. Deshalb habe sich Russland entschieden, Nowitschok einzusetzen und die Urheberschaft erst gar nicht zu verschleiern. Skripal sei das perfekte Ziel: Ein ehemaliger Offizier, der später als Angehöriger des sogenannten Ersten Direktorats des GRU - zuständig für Europa - russische Agenten an den britischen Geheimdienst verraten habe.

Hinzu kommen nach britischen Angaben nachrichtendienstliche Erkenntnisse, dass Russland in den vergangenen Jahren an Methoden gearbeitet habe, Nervengifte einzusetzen. "Wahrscheinlich für Attentats-Zwecke," heißt es in einem britischen Dossier. Hierfür seien auch kleine Mengen von Nowitschok hergestellt worden. In ihren Präsentationen für die Partnerländer erklären die Briten den Anschlag zum jüngsten Beispiel für Russlands destabilisierendes Verhalten, in einer Reihe mit der Besetzung der Krim, der vermuteten Beeinflussung der US-Wahlen oder dem Abschuss der Passagiermaschine von Flug MH-17. Auch zwei deutsche Beispiele tauchen auf, der "Fall Lisa" über eine angebliche Vergewaltigung eines deutschen Mädchens mit russischen Wurzeln durch Flüchtlinge und der Hacker-Angriff auf den Bundestag im Mai 2015. Als ersten Beleg aber nennen die Briten einen Anschlag aus dem November 2006: Den Mord durch hochgiftiges Polonium an Alexander Litwinenko, einem russischen Geheimdienstler, der zum MI 6 überlief.

Nicht überall hat die britische Argumentation restlos überzeugt. Bei manchen europäischen Nachrichtendiensten wird sie zwar als "plausibel" oder "wahrscheinlich" eingestuft, es gebe schließlich kein anderes wahrscheinliches Szenario. Andere Dienste aber sind vorsichtiger und halten die russische Urheberschaft für "möglich." Zwingende Beweise jedenfalls scheinen auch zwischen den Geheimdiensten nicht ausgetauscht worden zu sein. Offiziell will sich niemand äußern, die Sache ist heikel, es folgt der Hinweis, die Politik habe sich schließlich schon "festgelegt." Dafür meldete sich der ehemalige BND-Chef Gerhard Schindler zu Wort: "Ich glaube die Beleglage ist nicht so robust", sagte er.

Könnte das Gift Kriminellen in die Hände gefallen sein?

Tatsächlich sind andere Szenarien nicht ausgeschlossen. Das Geheimnis der Nowitschok-Kampfstoffe kam durch Überläufer in den Westen. Die Liste der Staaten, die das Gift produzieren konnten, ist ziemlich lang. Könnte es Kriminellen in die Hände gefallen sein? Manche Analysten zweifeln zudem daran, dass der Kreml ausgerechnet vor der anstehenden Fußball-WM in Russland eine gezielte Liquidation in Auftrag gegeben haben soll. Die Behauptung von Außenminister Johnson, Putin stecke "höchstwahrscheinlich" persönlich dahinter, hat selbst bei manchen Verbündeten Kopfschütteln hervorgerufen. Das tun allerdings auch die immer wilderen Verschwörungstheorien aus Moskau. Zuletzt erklärte der Chef des Auslandsgeheimdienstes SWR, es handele sich um eine "groteske, von amerikanischen und britischen Geheimdiensten ausgeheckte Provokation."

Selbst europäische Spitzendiplomaten mahnen inzwischen, London müsse mehr Belege liefern. Man zweifele ja nicht daran, dass Russland destabilisiere und provoziere. Aber es entstehe der Eindruck, dass die bisher härteste Reaktion auf dieses Verhalten ausgerechnet auf einen Vorfall folge, bei dem die Beweislage eben doch nicht so eindeutig sei wie zunächst behauptet. Möglich ist allerdings, dass die Briten neben ihren "Plausbilitätsketten" über nachrichtendienstliche Erkenntnisse verfügen, die sie geheim halten, etwa, um die Quelle nicht zu gefährden.

Die Bundesregierung entschied sich jedenfalls für ein klein wenig Vorsicht. Aus Solidarität mit den Briten wies sie vier Diplomaten der russischen Botschaft in Berlin aus. Begründet wurde der Schritt allerdings ausdrücklich auch mit dem jüngsten Cyber-Angriff auf das deutsche Regierungsnetz und die Computer des Russland-Referats des Auswärtigen Amtes. Die Verantwortung russischer Hacker hierfür soll ziemlich gut zu belegen sein.

© SZ vom 05.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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