Russlands Öl-Bonanza:Libyen brennt - Russland kassiert

Moskaus Milliardäre profitieren enorm vom Aufstand in der arabischen Welt. Russland schwimmt in Petrodollars, seit der Energiebedarf weltweit wieder steigt - und die Regenten des Nahen Ostens andere Probleme als die Verteilung ihres Ölreichtums haben.

Sonja Zekri, Moskau

Es waren trübe Jahre, aber nun ist Moskau wieder da, ganz oben, an der Spitze der Welt und Europas sowieso: Nirgends leben mehr Milliardäre als in Moskau, wie aus einer neuen Liste des Magazins Forbes hervorgeht. 79 der 101 russischen Superreichen residieren demnach in der Hauptstadt; mehr Milliardäre gibt es weder in New York noch in London. Das ist aus russischem Blickwinkel ein schöner Fortschritt nach dem Ausdünnen der Milliardärsdichte in den Jahren der Finanzkrise: 2009 zählte Moskau gerade noch 27 Superreiche.

Die Forbes-Liste ist vor allem ein Indikator für die Entwicklung am Rohstoffmarkt. Russland schwimmt in Petrodollars, seit sich die Weltwirtschaft zusehends erholt und der Energiebedarf steigt - und ganz besonders seit der Nahe Osten in Aufruhr ist und im libyschen Ras Lanuf die Ölanlagen brennen. Der Reichtum der 115 chinesischen und 55 indischen Milliardäre hingegen stammt laut Forbes aus dem natürlichen Wachstum ihrer Volkswirtschaften. Die 30 brasilianischen Topverdiener profitieren von einer starken Währung, die russischen vom Ölpreis.

Die russische Ölsorte Ural kostete im Februar mit durchschnittlich 101 Dollar je Barrel fast 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Sobald der Ölpreis auf mehr als 100 Dollar pro Barrel steigt, ist der russische Haushalt ausgeglichen, rechnete Finanzminister Alexej Kudrin aus. Im Lichte der arabischen Revolte wirken Russlands Gaskrisen auf die europäischen Konsumenten plötzlich wie das kleinere Übel. Zwar mussten manche Europäer frieren, wenn sich Moskau mit der Ukraine und Weißrussland über Energiepreise stritt und die Leitungen leer blieben. Danach suchte Europa nach Lieferanten außerhalb Russlands. Nun aber sagte Christophe de Margerie, Chef des französischen Energiegiganten Total, die Aufstände in den öl- und gasfördernden Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas seien ein "Signal an die Investoren" - für den Aufbruch nach Russland.

Schon hat der Rubel im Vergleich zum Dollar deutlich zugelegt. Nun muss der Kreml entscheiden, ob er mit den Petro-Milliarden seinen Stabilitätsfonds auffüllen will, wie es Finanzminister Kudrin vorschlug - oder doch lieber Geschenke verteilt. Demnächst wird das Parlament gewählt, im nächsten Jahr der Präsident, und so verspricht Premierminister Wladimir Putin mehr Geld für Beamte und Bauern, Eltern und Studenten. Russlands Liberale mögen voller Hoffnung auf die Systemwechsel in Ägypten und Tunesien blicken und auf ein Übergreifen des revolutionären Virus hoffen. Skeptiker aber verweisen auf die Unterschiede: Russland fehlt eine für Umstürze relevante hochqualifizierte aber perspektivlose Jugend. In Moskau liegt die Arbeitslosigkeit bei unter einem Prozent - im Landesdurchschnitt bei 7,6 Prozent. Es fehlen überhaupt junge Leute, das Land vergreist. Außerdem verbinden viele Russen seit der Perestroika einen Systemsturz nicht mehr mit Aufbruch, sondern mit Not und Chaos. Anders als die Potentaten in Kairo und Tunis war der Kreml stets klug genug, den Wohlstand spürbar zu verteilen. So wie jetzt.

Experten warnen, dass der aktuelle Geldsegen den Reformdruck senkt und alle Bemühungen für die angestrebte Loslösung von der Rohstoffabhängigkeit unterläuft. Zudem müsse der starke Anstieg des Ölpreises nicht unbedingt einen langfristigen Trend einleiten. Schon einmal hat Russland auf seinen Rohstoffreichtum vertraut - und Dutzende Milliardäre verloren. Sonja Zekri

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