Russlands Hilfstransport:Geheimnisvoller Konvoi mit unbekannter Ladung

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Der russische Konvoi mit Hilfsgütern ist weiter auf dem Weg zur russisch-ukrainischen Grenze. (Foto: REUTERS)

Ist das der Beginn einer russischen Intervention? Oder ein PR-Coup von Präsident Putin? Was auch immer in den 280 Lastwagen steckt, die in Moskau losgeschickt wurden - es wird nicht unkontrolliert zu den notleidenden Menschen in die Ostukraine gelangen.

Von Stefan Braun, Javier Cáceres und Cathrin Kahlweit

Eine Kolonne, kilometerlang, auf dem Weg von Moskau gen Westen, gegen Mittag gesichtet bei Tula, Ankunft an der russisch-ukrainischen Grenze bei Charkiw spätestens am Mittwochmorgen erwartet. Das sind die wenigen Fakten, die am Dienstag außerhalb Russlands bekannt waren über einen Hilfskonvoi für die Ostukraine. Der war in Moskau so schnell ausgerüstet worden und losgerollt, dass Kiew und der Westen sich offenbar bis zuletzt völlig überfahren fühlten.

Seit Tagen hatte man im Kreml humanitäre Hilfe für die von Wasser, Strom und Lebensmitteln abgeschnittene Bevölkerung im umkämpften Lugansk gefordert - eine Idee, die vom Westen und von Kiew im Prinzip durchaus geteilt wurde. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte seinerseits Gespräche mit dem Internationalen Roten Kreuz und der EU aufgenommen. Vize-Außenminister Danilo Lubkiwski ließ wissen, dass ein solcher Konvoi vom Roten Kreuz und keinesfalls vom Militär begleitet werden solle. Angesichts der komplexen Lage im Donbass, sekundierte das Präsidialbüro in Kiew, werde man ukrainische Hilfsgüter schicken - aber der Plan enthalte auch eine internationale Komponente, an der das Rote Kreuz, die USA, die EU und Russland "beteiligt" seien.

Die Lastwagen könnten ja alles enthalten

Aber Russland im Alleingang? Das wollte man unbedingt verhindern. In den Lastwagen, so fürchtet man, könnten Waffen und militärisches Gerät sein; die Nato warnte erregt vor einer verdeckten Intervention. "Damit das klar ist: Man braucht keine Artillerie und keine Panzer, wenn man einer darbenden Bevölkerung Nahrung und Medizin liefern will", ätzte Lubkiwski und bezog sich damit auf Waffenlieferungen aus Russland für die prorussischen Separatisten.

Dann aber ging auf einmal alles ganz schnell: Montagabend verkündete Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Moskau, man habe sich geeinigt mit dem Roten Kreuz und den Ukrainern, alle Hindernisse seien beseitigt. Nur von welcher Einigung sprach Lawrow da? In Kiew brach kurzfristig Panik aus. Wollte der Kreml Kiew die Show stehlen und sich als Hort des Humanismus darstellen? Handeln, während alle anderen noch reden?

Im Kiewer Außenministerium hieß es kurz nach der Ankündigung aus Moskau, man wisse von nichts. Lawrow meine wohl kaum die ukrainische Initiative, an der parallel noch gearbeitet werde? Präsident Poroschenko telefonierte mit seinem US-Kollegen Barack Obama und gab danach ein kurzes Statement heraus. Humanitäre Hilfe sei wichtig, Kiew plane sie im Einklang mit der EU und den USA sowie dem Roten Kreuz, Russland werde "integriert". Es wirkte wie ein Versuch, den Russen das Heft aus der Hand zu nehmen.

Auch Brüssel fühlt sich vom Konvoi überfahren

Auch in Brüssel fühlte man sich überfahren. Als am Abend die Meldungen aus Moskau kamen, Russland werde einen Hilfskonvoi schicken und habe gar das Einverständnis vom EU-Kommissionspräsident erhalten, herrschte Schockstarre. Welches Einverständnis? Im Read-out des Telefonats, das die Kommission nach einem Telefonat von Russlands Präsident Wladimir Putin mit José Manuel Barroso kurz zuvor veröffentlicht hatte, war davon keine Rede gewesen. Vielmehr war darin die erneute Warnung zu lesen, dass einseitige Maßnahmen Russlands nicht akzeptabel seien - "egal unter welchem Vorwand, inklusive humanitärer Einsätze". Anders gesprochen: Hilfslieferungen seien nur dann zulässig, wenn sie mit den Ukrainern abgestimmt seien.

Man wusste zwar, dass Ukrainer und Russen miteinander reden. Doch eine Einigung über Hilfslieferungen? In der Kommission dauerte es Stunden, ehe offiziell dürr bestätigt wurde, dass die Konvoi-Frage in dem Telefonat überhaupt angeschnitten worden war. Putin habe Barroso nur gesagt, dass man mit internationalen Hilfsorganisationen zusammenarbeiten werde. Diplomaten registrierten unterdessen verwundert, dass in diversen Pressemitteilungen aller Seiten erstaunlich häufig von dem die Rede war, was die jeweils anderen gesagt haben sollten. Die Russen sagten, wozu sich Barroso, die Deutschen, die Amerikaner und die Ukrainer bereit erklärt hätten. Poroschenko erklärte, was das Weiße Haus gesagt habe. Kaschiertes Chaos?

Nach einer kurzen Nacht rieb man sich dann in Kiew, Brüssel und Genf, dem Sitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, erneut die Augen: Schon am Morgen waren im russischen Fernsehen Bilder von Lastwagenkolonnen auf der Autobahn zu sehen. Von Babynahrung bis zu Schlafsäcken habe man an alles gedacht, verkündete der Kreml per Presseerklärung. μMoskau hatte über Nacht Fakten geschaffen.

Der Sprecher der Genfer Hilfsorganisation in der Ukraine, Andre Lörsch, ließ wissen, es gebe zwar eine grundsätzliche Einigung mit Moskau, dass Hilfsgüter in die Region geschickt werden sollten. Aber man sei nicht über Details informiert, kenne weder Inhalt noch Ziel der Trucks. Was also in den Lastwagen steckt, warum der Kreml, anders als angekündigt, nicht auf konkrete Absprachen mit dem Roten Kreuz gewartet hat, ob hinter der Initiative doch eine kaschierte Intervention in der Ostukraine steht, wie es die Nato fürchtet - all das sind Fragen, die am Dienstag in Kiew, Brüssel oder Berlin keiner beantworten kann.

In Berlin hatte man am Morgen die Meldungen über den Konvoi zunächst mit großer Genugtuung aufgenommen. ,,Es ist gut, dass sich Moskau und Kiew in der Kontaktgruppe auf einen Konvoi geeinigt haben'', hieß es aus Regierungskreisen. Doch das zeugte offenkundig von Unkenntnis der tatsächlichen Lage. Denn bald sollte klar werden, dass von einer Einigung keine Rede sein konnte. Und so war man nur Stunden später bereits verhaltener. Man hoffe, dass nun auch "letzte Probleme" ausgeräumt werden könnten, hieß es betont optimistisch.

Der russische Konvoi kurz vor dem Start in Richtung Ostukraine. (Foto: dpa)

Da war man bei der Nato in Brüssel indes bereits wieder in hohem Maße alarmiert. Ohne die formelle, ausdrückliche Zustimmung der ukrainischen Regierung wäre jede humanitäre Intervention inakzeptabel und illegal, sagte Nato-Sprecherin Oana Lungescu. Diesen Anforderungen aber ist Moskau bisher nicht nachgekommen.

An der Grenze wartet man auf den Transport

Derweil wartete man in Charkiw auf den Transport. Meldungen machten die Runde, die Ukrainer würden den Konvoi gar nicht ins Land lassen. Das aber stimmte so wohl nicht. Dann gab es Gerüchte, dass die Russen den Konvoi aufgespalten hätten und einen Teil der Fahrzeuge nach Rostow umleiten würden. In Charkiw jedenfalls waren, wie ein Mitarbeiter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) berichtete, erste Experten von UN und EU eingetroffen. Auch die ukrainischen Behörden bereiteten sich offenbar in rasender Eile auf den Konvoi vor. In Moskau verpackte und versiegelte Lastwagen einfach so über die Grenze lassen? Das, so hatte die Regierung in Kiew wissen lassen, könne und dürfe nicht sein - nicht solange Moskau die Separatisten weiter militärisch unterstützt.

Kiews Botschaft war also klar. Was immer Moskau liefert: Wir packen aus und um, und das Internationale Rote Kreuz, nicht Moskau, hat die Oberaufsicht. Offiziell klang das so: Man akzeptiere keinen ganzen Konvoi, sondern nur die Hilfsgüter, ließ der stellvertretende Chef der Präsidialverwaltung, Valerij Tschalij, wissen. "Sollten sich in diesen Lastwagen üble Überraschungen finden, werden wir so reagieren, wie ein souveräner Staat reagieren muss." Nach gründlicher Durchsuchung werde man die Hilfsgüter zu den Bedürftigen schaffen - aber niemals mit russischen Autos oder in russischer Begleitung.

Unterstützung für diesen Kurs gab es aus Brüssel. Es sei unabdingbar, sagte dort Kristalina Georgiewa, EU-Kommissarin für Internationale Zusammenarbeit, dass "jedwede Hilfe, von wem auch immer, den Prinzipien der Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit entspricht". Den internationalen Hilfsorganisationen obliege es auch, die Hilfsgüter auszuhändigen.

Das klingt alles so, als könnte es noch eine Weile dauern, bis die Menschen in der Ostukraine tatsächlich Hilfe erhalten.

© SZ vom 13.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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