Russlands Gasexporte:Dank Putin vom Boom zum Fluch

Gazprom CEO Miller and (CNPC) Chairman Zhou shake hands as Russian President Putin looks on during a ceremony in Shanghai

Russlands Präsident Putin applaudiert im Hintergrund, während Gazprom-Chef Alexej Miller und PetroChina-CEO Zhou Jiping das Gasabkommen vereinbaren.

(Foto: REUTERS)

Moskau hat Milliarden mit dem Verkauf von Energie verdient. Doch anstatt das Land zu modernisieren, wurde das korrupte System Putin genährt. Nun gehen die Preise zurück - und Russlands Präsident wirkt in China wie ein Hausierer.

Ein Kommentar von Julian Hans, Moskau

Den Erdgas-Händler Wladimir Putin hat die Welt in den vergangenen Wochen in zwei ganz unterschiedlichen Rollen erlebt. Seinen Kunden in Europa schrieb er gesalzene Briefe. Erst eine Zahlungserinnerung, dann eine ultimative Mahnung: Sollte die Ukraine ihre Schulden nicht umgehend begleichen, wird vom 2. Juni an nur noch gegen Vorkasse geliefert. Bei seinem Besuch bei Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in Shanghai dagegen erinnerte Putin eher an einen Hausierer, der seine Ware loswerden muss, bevor sie verdirbt.

Russlands Pipeline-Netz ist nach Westen ausgerichtet. Die Leitung mit dem stolzen Namen "Kraft Sibiriens", die China versorgen soll, wird frühestens in vier Jahren fertig. Peking hatte andere Optionen, um seinen Bedarf zu decken. Und Russland hat Ärger mit dem Westen - keine gute Position, um einen Vertrag von historischer Tragweite zu verhandeln.

Das Zeitfenster für eine Modernisierung schließt sich

Dass Gazprom-Chef Alexej Miller sich über den Preis ausschweigt, den China für russisches Gas bezahlen wird, sagt viel. Die bekannt gewordenen Rahmendaten lassen auf etwa 350 Dollar für 1000 Kubikmeter Gas schließen. Europa hat im vergangenen Jahr durchschnittlich 387 Dollar bezahlt. Und dort liegen die Leitungen schon. Zudem gibt Gazprom oft hohe Rabatte, wenn die Kunden gewisse Bedingungen erfüllen. Die Rabatte für die Ukraine hatte Moskau zuletzt allesamt aufgekündigt. Der Janukowitsch-Sonderpreis hatte bei 286,5 Dollar für 1000 Kubikmeter gelegen; jetzt verlangt Gazprom von dem klammen Staat 485,5 Dollar.

Das Gas-Lieferabkommen mit Peking ist kein Triumph für Moskau. Auch wenn Wladimir Putin es des schieren Volumens wegen als den "größten Gasvertrag der Geschichte" preist. Aus drei Gründen ist es sogar besorgniserregend: Es zeigt, dass Putin weiter bereit ist, Nachteile für sein eigenes Land hinzunehmen, um dem Westen eins auszuwischen. Es zeigt zweitens, dass Russland nicht mehr in der Position ist, für seine Energierohstoffe die Preise zu bekommen, die es sich wünscht. Daraus ergibt sich der dritte, bedrohlichste Schluss: Das Zeitfenster für eine Modernisierung Russlands beginnt sich zu schließen.

Putin hat Russland abhängig vom Gasexport gemacht

Mehr als ein Jahrzehnt spülte das Öl- und Gasgeschäft Milliarden und Abermilliarden ins Land. Millionen Menschen, die nach dem Zerfall der Sowjetunion Armut erlebt hatten, konnten sich endlich ein Auto, ein Smartphone, einen Urlaub in der Türkei leisten. Putin verbucht es heute als seine Leistung, Russland von den Knien erhoben zu haben. Doch das Wachstum wurde fast ausschließlich von zwei Kräften getrieben: dem Rohstoffverkauf und dem Konsum.

Die Gewinne hätten eine Option sein können auf die Zukunft. Sie hätten helfen können, in neue Technologien und eine gute Infrastruktur zu investieren und die Zeit zu überbrücken, bis diese Investitionen greifen. Dass die Investitionen zu zögerlich kamen, hat damit zu tun, dass auch die Modernisierung des Staates und der Gesellschaft stecken geblieben sind. Unternehmer brauchen die Sicherheit, dass ihnen die Fabrik, die sie bauen, auch in zwanzig Jahren noch gehört. Und ihre Einnahmen möchten sie höchstens mit dem Staat teilen, nicht aber mit seinen korrupten Vertretern, die sie in die eigene Tasche stecken.

Repression statt Kreativität

Je weniger die Option auf die Zukunft genutzt wird, desto härter schlägt der Rohstofffluch zu: Wenn der Verkauf von Öl und Gas das einträglichste Geschäft ist, strebt alles dahin, daran mitzuverdienen. Über die Jahre hat sich das System Putin daher mehr und mehr darauf ausgerichtet, die Gewinne aus diesem Geschäft zu verteilen, oft nach dem Loyalitätsprinzip. An die Spitze der großen Energieunternehmen hat Putin enge Vertraute gesetzt. Von den Aufträgen dieser Unternehmen nährt sich wiederum die nächste Stufe im System. Dazu kommt ein Heer von Leuten in den Sicherheitsdiensten, in der Justiz und im Geheimdienst, die diese Privilegien überwachen und schützen. Das führt dazu, dass das Land nicht immer produktiver und immer kreativer wird, sondern immer repressiver.

Nach mehr als einem Jahrzehnt Energieboom steht Russland immer noch da als ein Land, das außer Rohstoffen nicht viel anzubieten hat für den Welthandel. Der Beitrag des Energiegeschäfts zum russischen Staatshaushalt ist unter Putin immer weiter gestiegen - ein Zeichen dafür, dass das Gegenteil von Modernisierung stattgefunden hat. Nun beginnen die Preise, die Russland für diese Rohstoffe bekommt, zurückzugehen. Das zeigt der Vertrag von Shanghai.

Ein Land, das gezwungen ist, Gasverträge abzuschließen, die für den eigenen Haushalt schädlich sind? Bis gestern war das die Ukraine. Nun hat Wladimir Putin sein eigenes Land in diese Lage gebracht.

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