Russland:Zeugen Jehovas verboten

Das höchste Gericht des Landes wirft der Religionsgemeinschaft "Extremismus" vor. Sie muss sich auflösen, alle ihre Immobilien und ihr Eigentum werden vom Staat konfisziert werden. Bürgerrechtler sind entsetzt.

Von Julian Hans, Moskau

Russlands Oberstes Gericht hat die Zeugen Jehovas wegen "extremistischer Tätigkeit" verboten. Das Zentrum der Religionsgemeinschaft in Moskau sowie alle 395 Regionalverbände im Land müssen aufgelöst werden, ihr Besitz und ihre Immobilien werden vom Staat konfisziert. Damit folgte das Gericht am Donnerstag einem Antrag des russischen Justizministeriums. Ein Sprecher der Zeugen Jehovas kündigte an, die Entscheidung anzufechten. Des Weiteren werde eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorbereitet.

Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Entscheidung. Sie sei ein gravierender Verstoß gegen die Religions- und Versammlungsfreiheit, erklärte Human Rights Watch. Das Moskauer Sowa-Zentrum, das sich die Beobachtung extremistischer Gruppen zur Aufgabe gemacht hat, bezeichnete das Vorgehen gegen die Sekte als "klaren Fall von religiöser Diskriminierung". Für die Auflösung der Gemeinden und die Verfolgung ihrer Mitglieder wegen Extremismus gebe es keine gesetzliche Grundlage. Ein Vertreter des Justizministeriums nannte die Zeugen Jehovas dagegen ein "bösartiges Geschwür in der russischen Gesellschaft".

Das Verbot trifft mehr als 100 000 Gläubige, die Gemeinschaft selbst gibt die Zahl ihrer Mitglieder in Russland mit 175 000 an. Die Ende des 19. Jahrhunderts gegründete Sekte wurde erstmals 1913 in Russland registriert. In der Sowjetunion wurden ihr Anhänger wegen "Aufrufs zum Sturz der Sowjetmacht" verfolgt, viele mussten ins Gefängnis, weil sie den Militärdienst verweigerten. Sie wurden nach 1991 als Opfer politischer Repression rehabilitiert.

Aber bereits seit 1998 gibt es neue Versuche, die Zeugen Jehovas zu verbieten. 2010 rügte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Verbot einer Moskauer Gemeinde durch ein Gericht im Jahr 2004 und sprach ihr 70 000 Euro Entschädigung zu. 2015 wurde sie neu zugelassen. Zuletzt setzten die Behörden mehr als 80 Schriften der Zeugen auf eine Liste "extremistischer Literatur". Im nächsten Schritt wurden Gläubige wegen der Verbreitung extremistischer Schriften angeklagt und Gemeinden geschlossen. Die orthodoxe Kirche wirft den Zeugen Jehovas Anstiftung zum Hass gegen Orthodoxe vor. Weil die Sekte aus Amerika stamme, betreibe sie zudem antirussische Propaganda.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: