Russland:Zeichen aus der Provinz

Zwei Kreml-Kandidaten verlieren überraschend die Gouverneurswahlen. Prompt ist Putins Sicherheitsrat alarmiert.

Von Julian Hans, Moskau

Russland: Der Ultranationalist Wladimir Schirinowskij (links) und der Kommunistenchef Gennadij Sjuganow in der Duma.

Der Ultranationalist Wladimir Schirinowskij (links) und der Kommunistenchef Gennadij Sjuganow in der Duma.

(Foto: Alexander Zemlianichenko/AP)

Normalerweise sind Wahlen in der Provinz kein Thema, das den russischen Sicherheitsrat beschäftigt. Das Gremium aus Geheimdiensten, Militär und einigen Schlüsselministerien befasst sich mit Bedrohungen durch internationale Konflikte oder Terror im Innern. Es gilt als engster Führungszirkel um Präsident Wladimir Putin. Dass nach dem letzten Treffen am vorigen Freitag im Protokoll zu lesen war, die Mitglieder hätten "Meinungen über die Wahlen vom 9. September ausgetauscht", kann also als Anzeichen gedeutet werden, dass es ein Problem gibt.

Am Sonntag vor zwei Wochen hatten die Bürger in 26 Regionen über ihre Oberhäupter abgestimmt. In 17 Regionen wurden die Parlamente neu besetzt. Und längst nicht überall fiel das Ergebnis so gut aus wie in der Hauptstadt Moskau, wo der Bürgermeister Sergej Sobjanin mit 70 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt wurde - wenngleich auch dort trotz massiver Mobilisierung nicht mal ein Drittel der Wahlberechtigten zu den Urnen gegangen war.

Dass die Regierungspartei Einiges Russland dabei deutliche Verluste hinnehmen musste, war erwartet worden. Sie muss die Erhöhung des Renteneintrittsalters um fünf Jahre durchs Parlament bringen, mehr als 80 Prozent der Bevölkerung lehnt die Reform ab. Der Einbruch war dann aber so groß, dass selbst gestandene Gouverneure, die von Putin eingesetzt waren und unterstützt wurden, gegen blasse Konkurrenten in die Stichwahl gehen mussten, die erklärtermaßen angetreten waren, um Zweiter zu werden.

Wie das enden kann, hatte das Beispiel im Gebiet Primorje gezeigt; dort lag der Herausforderer der Kommunisten bei der Stichwahl am 16. September nach Auszählung von 95 Prozent der Stimmen in Führung, als es plötzlich einen ungewöhnlichen Sprung in den Ergebnissen gab. Die zentrale Wahlkommission ordnete an, dass die Wahl wiederholt werden muss.

Ob die Mitglieder des Sicherheitsrates bei ihrem Treffen am Freitag bereits ahnten, was am Sonntag passieren könnte, geht aus den dünnen Zeilen im Protokoll des geheim tagenden Gremiums nicht hervor. Glaubt man seinem Sprecher, war aber selbst der Präsident "überrascht" von der krachenden Niederlage, die seine Günstlinge in den Gebieten Wladimir und Chabarowsk einstecken mussten.

Mit einem Abstand von 40 Prozentpunkten unterlag der Gouverneur von Chabarowsk, Wjatscheslaw Schport, seinem Herausforderer Sergej Furgal von der rechtspopulistischen Partei LDPR. Dieser war selber sichtlich überrascht von seinem Sieg, allem Anschein nach wollte er gar nicht so dringend gewinnen. Vor der Stichwahl hatte er ganz auf Wahlkampf verzichtet, hinterher beeilte er sich zu erklären, er habe immer "in vollem Umfang den Präsidenten unterstützt und für ihn gestimmt" (und dabei offensichtlich übersehen, dass der Chef seiner eigenen Partei, Wladimir Schirinowskij, ebenfalls bei der Präsidentschaftswahl kandidiert hatte)

Die Niederlagen werden im Kreml als Demonstration gegen die Rentenreform verstanden

. Im Gebiet Wladimir in Zentralrussland unterlag die Gouverneurin Swetlana Orlowa ebenfalls einem Zählkandidaten von der LDPR. Sie war 2013 von Putin eingesetzt worden und hatte ihre politische Karriere überwiegend auf offen zu Tage getragener Begeisterung für den Präsidenten aufgebaut, was den Bewohnern der Region offenbar auf Dauer nicht genug war. Sie erhielt amtlich 37 Prozent, ihr Gegner 57.

Die Serie von Niederlagen wird Berichten russischer Medien zufolge auch im Kreml als Protest gegen die Rentenreform und Ausdruck des Ärgers über die Lebensbedingungen im Land gedeutet, die seit Jahren immer schlechter werden. Die Wirkung von Prestigeprojekten wie dem Bau der Krim-Brücke oder der Fußballweltmeisterschaft lässt immer schneller nach, das Verständnis für das Engagement im fernen Syrien schwindet.

Zugleich sind die Wahlergebnisse auch ein Debakel für die Strategen um Sergej Kirienko, der in der Präsidialverwaltung für die Innenpolitik zuständig ist. "Zwischen den Kandidaten gibt es überhaupt keine Unterschiede mehr, weder ideologisch noch inhaltlich", sagte der Politologe Andrej Kolesnikow vom Moskauer Carnegie-Zentrum der Zeitung Wedomosti. Alle seien gleichermaßen ins System eingebunden.

Die Präsidialverwaltung ihrerseits hat dem Blatt zufolge die Kommunisten und die LDPR als Schuldige ausgemacht, die sich nicht auf ihre Rolle als Oppositions-Statisten beschränkt, sondern die Kritik gegen die Rentenreform befeuert und ausgenutzt hätten. Sie sollen nun bestraft werden, etwa indem künftig die Wahlkreise für ihre Kandidaten nicht mehr von Konkurrenten frei gehalten werden.

Es gibt noch mehr Anzeichen dafür, dass die Nervosität im russischen Staatsapparat wächst. Vor den Wahlen waren Audioaufnahmen öffentlich geworden, auf denen zu hören ist, wie Beamte ihre Untergebenen anweisen, für das erwünschte Ergebnis zu sorgen. In einem heimlich mitgeschnittenen Wutausbruch gemahnt ein Kommandeur der Nationalgarde seine Männer mit derbsten Mutterflüchen an ihre Pflicht als Stützen des Systems. Und als der Kreml-Gegner Alexej Nawalny am Montag nach 30 Tagen entlassen wurde, wartete vor dem Gefängnistor schon die Polizei, ein Gericht verordnete noch am selben Abend weitere 20 Tage Arrest. Echte Opposition kann man jetzt nicht auch noch gebrauchen.

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