Russland: Wladimir Putin:Er kann auch anders

Vom erlegten Tiger zum Elchkalb: Wladimir Putin zeigt neue Bilder. Der russische Ministerpräsident ist plötzlich nett - weil er weiß, dass er den Westen für die Modernisierung seines Landes braucht.

Frank Nienhuysen, Moskau

Bill Clinton lacht sowieso, aber Wladimir Putin lacht auch. Nicht so wie Clinton, der sich auf die Schenkel fasst, den Kopf zurücklegt und den Mund weit öffnet. Aber für seine eigenen Maßstäbe ist der russische Regierungschef doch sehr heiter aufgelegt. Entspannt sitzen die beiden ehemaligen Präsidenten in Putins feudalem Kaminzimmer in Nowo-Ogarjewo, eine leichte Plauderei in schweren Sesseln.

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Kuschelstunde im Tiergehege: Wladimir Putin füttert einen kleinen Elch mit dem Fläschchen in einem Moskauer Naturpark.

(Foto: AFP)

Putin hätte wirklich Grund zu finsterer Miene, denn am selben Tag verbreitete sich die Nachricht, dass in den USA ein russischer Spionagering ausgehoben wurde. Noch vor einem Jahr hätte Putin vermutlich scharf von einer "Provokation" gesprochen und ernsthafte Konsequenzen angekündigt. Aber was macht er nun: sagt launig und gelassen, "jeder mache seine Arbeit; jetzt müssen die russischen Dienste ihrer eigenen eben auch nachgehen". Wichtig sei, dass es Menschen gebe, die das amerikanisch-russische Verhältnis schätzen. Er meinte Clinton und sich selber.

Putin gilt noch immer als Russlands mächtigster Mann, aber unwirsche Brandreden sind seit geraumer Zeit kaum erinnerlich. Es ist, als häute sich der Premier allmählich in seinem neuen Amt. Über die Amerikaner verliert er vor allem freundliche Worte, die Europäische Union hofiert er mehr denn je, und auch eine neue Bildsprache ist erkennbar. Das war ja die bisher beliebte Fotostrecke: Putin angelt mit nackter Brust in Sibirien, Putin schießt in Tarnuniform mit einem Betäubungsgewehr auf einen Tiger. Aber er kann auch anders. In den vergangenen Tagen standen deutlich weichere Bilder in den heimischen Zeitungen; Putin in einem Weizenfeld, Putin im Naturpark beim Streicheln eines kleinen Elches.

Als Präsident konnte er sich seine würzige Rhetorik nicht nur leisten, sie war nach seiner Ansicht auch im Interesse des Landes. Der Ölpreis erreichte damals 145 Dollar pro Barrel, Geld füllte den Staatshaushalt und das nationale Selbstbewusstsein. Russland mehrte seinen Reichtum, bezahlte Schulden zurück und konnte auch deshalb dem Westen die Stirn bieten. Nun aber erzürnt ihn nicht mehr der amerikanische Präsident mit einer Raketenabwehr in Polen und Tschechien. Die Nato bremst ihren Erweiterungsdrang, in der Ukraine reagiert ein neuer Präsident, der für Jahrzehnte die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim dulden will. Putin wittert im Westen keine Bedrohung mehr, er sieht in ihm eine Verheißung, den Code für Russlands Modernisierung.

Als Russlands Regierungschef ist Putin für die Wirtschaft verantwortlich, und es waren bittere Zeiten, seit er dieses Amt vor zwei Jahren übernommen hat. Selbst jetzt, da er wieder "eine positive Dynamik der wichtigsten Indikatoren" erkennt, räumte er doch ein, "dass die Situation gerade erst angefangen hat, sich zu verbessern. Wir brauchen mindestens zwei bis drei Jahre, um den Stand vor der Krise zu erreichen". Aber selbst dann soll vieles anders sein. Russland will sich verändern, seine Abhängigkeit von den Rohstoffen verringern, seine veraltete Industrie abtragen und eine neue errichten, es will moderner werden, wettbewerbsfähiger. Und dafür muss auch sein Premierminister sich ändern. Er muss jetzt werben.

Auf Kuschelkurs mit dem Westen

"Putin geht es in erster Linie darum, die russische Wirtschaft zu retten. Er hat verstanden, dass der Boom bis 2008 auf Öl und Gas beruhte und dass das jetzt nicht mehr reicht, um ein solch großes Land im Rennen zu halten", sagt Frank Schauff, Geschäftsführer der Association of European Businesses in Moskau. Erst am Mittwoch diskutierte Schauff mit Putin auf einem Podium im Moskauer Vorort Schukowskij über die großen Fragen der Wirtschaft, und er findet, dies allein sei schon ein Zeichen. "Die russische Regierung geht nun deutlich aktiver auf Investoren zu", sagt Schauff. "Dass gleich vier Vertreter der europäischen Geschäftswelt eingeladen wurden, zeigt, wie sehr er an einer Partnerschaft mit Europa interessiert ist."

Beim EU-Russland-Gipfel Ende Mai in Rostow schlug Brüssel die Bitte Moskaus aus, einen Zeitplan für eine künftige Visafreiheit aufzustellen. Trotzdem, zeigte sich der russische Premierminister weder dünnhäutig, pikiert noch trotzig. "Wir verstehen, dass dies in der EU ein schwieriger Prozess ist, 27 Staaten, viele Meinungen", sagte er nun in Schukowskij. Und meldete brav: "Russland ist für einen visafreien Verkehr jetzt technisch bereit."

Wladimir Putin braucht Investoren, und für seinen pragmatischen Kurs rückt er sogar von eigenen Vorschlägen ab. Er hatte die Idee aufgebracht, nur im Paket mit Kasachstan und Weißrussland in die Welthandelsorganisation (WTO) zu streben. Aber dies löste in den USA Verwunderung aus, und seit dem Streit mit Weißrussland über eine Zollunion war zuletzt davon nicht mehr die Rede. Weshalb der amerikanische Präsident Barack Obama jetzt auch zu seinem klaren Bekenntnis bereit war, Russland gehöre in die WTO.

Ende der Selbstüberschätzung

"Die Wirtschaftskrise hat die Hybris beendet, die es noch am Ende von Putins Präsidentschaft gab", sagte Dmitrij Trenin vom Moskauer Carnegie-Zentrum. Aber manchmal zeigt auch Putin noch eine niedrige Reizschwelle. Zur Jahreswende schreckte er den Westen auf, als er auf einer Pressekonferenz in Wladiwostok ziemlich unwirsch die abgeänderten Raketenabwehrpläne der USA angriff.

Mitunter ist einfach nur schwer zu deuten, welche Botschaft für das Ausland und welche für das heimische Publikum bestimmt ist. Putin und Medwedjew müssen irgendwann erklären, wer von ihnen bei der nächsten Präsidentenwahl antreten wird. Putins Umfragewerte sind gefallen, und doch würden die meisten Russen immer noch ihn wählen statt Medwedjew, wenn sie die Chance dazu hätten.

Sie schätzen eine starke Führung, und Kritik an ihrem Regierungschef halten viele für eine Art Majestätsbeleidigung. Unmittelbar bevor im Juni das Petersburger Wirtschaftsforum begann, griffen die Behörden einen Lastwagen auf und beschlagnahmten seine Fracht, 100.000 Putin-kritische Bücher. Das gute Klima des internationalen Forums sollte offensichtlich nicht gestört werden.

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