Russland:Was Putin antreibt

Russland: Starke Worte kosten nichts, machen aber Eindruck: Putin macht von dieser Strategie Gebrauch.

Starke Worte kosten nichts, machen aber Eindruck: Putin macht von dieser Strategie Gebrauch.

(Foto: AP)

Raketen in Kaliningrad, wieder aktivierte Militärbasen in Übersee: Moskaus Tonlage klingt für viele wieder nach Kaltem Krieg. Das Vorgehen hat Methode.

Von Julian Hans, Moskau

Atomwaffen, Kuba, Vietnam, Raketen - im Laufe einer Woche hat die russische Führung vier Worte in den Raum gerufen, die Politiker wie Bürger im Westen zuverlässig erschaudern lassen. Es tönt nach Kaltem Krieg, Erinnerungen an Wettrüsten und Bunker werden wach und an die Gruselgeschichten vom nuklearen Winter, die jedes Kind kannte, das vor dem Fall des Eisernen Vorhangs geboren wurde.

Am Montag kündigte Wladimir Putin das Abkommen über die Entsorgung von waffenfähigem Plutonium. Am Freitag ließ das Verteidigungsministerium verbreiten, Russland werde seine Militärbasen auf Kuba und in Vietnam reaktivieren, die seit dem Ende der Sowjetunion verlassen sind. Am Samstag bestätigte das Verteidigungsministerium, das Kurzstreckenraketen-System Iskander per Schiff in die russische Exklave Kaliningrad verlegt zu haben, die in Polen liegt.

In der Zwischenzeit startete in Washington und in den europäischen Hauptstädten eine Neuauflage der alten Debatte, was der russische Präsident wohl wirklich im Schilde führe; wo man ihm nicht genug entgegengekommen sei oder - im Gegenteil - zu weit, und wie ihm vielleicht doch noch beizukommen sei. Alle Ansätze zur Kooperation sind gescheitert, alle Gespräche ergebnislos verlaufen, aber nicht zu reden, ist auch keine Option.

Unter dem Eindruck der rücksichtslosen Bombardierung von Aleppo hatte US-Außenminister John Kerry zu Wochenbeginn die Syrien-Gespräche mit Russland für beendet erklärt - nur um am Mittwoch erneut mit seinem Kollegen Sergej Lawrow zu telefonieren. Victoria Nuland, Kerrys Europa-Beauftragte, war derweil wieder einmal im Kreml zu Gast, um Gespräche über die verfahrene Lage im Osten der Ukraine zu führen.

In Berlin wurde indessen die von der SPD angestoßene Debatte über eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen abgelöst von der Debatte über neue Sanktionen gegen Moskau. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nannte sie "nutzlos", der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), hielt dagegen: "Eine Folgen- und Sanktionslosigkeit schwerster Kriegsverbrechen wäre ein Skandal", sagte er der SZ. Europa-Politiker Elmar Brok (CDU) brachte gar die Lieferung von Flugabwehrwaffen an die Assad-Gegner ins Spiel.

Vier Wochen vor der Präsidentschaftswahl in den USA sucht Moskau die Konfrontation auf allen Ebenen. Hacker veröffentlichen interne E-Mails der Demokraten, die russische Botschaft in Washington twittert ein Foto, auf dem das russische Luftabwehrsystem S300 auf den Sprecher des Weißen Hauses gerichtet ist. "Russland wird jedes notwendige Mittel zur Verteidigung seiner Leute ergreifen", heißt der Text dazu. Zuvor hatte das Verteidigungsministerium die Stationierung von S300 in Syrien bestätigt - eine neue Warnung an die Amerikaner, gar nicht erst an einen Luftschlag gegen den Diktator Baschar al-Assad zu denken.

Die lauteste Stimme in diesem schrillen Chor gehört Maria Sacharowa, der Sprecherin des Außenministeriums. Russland sehe einen Zusammenhang zwischen der Warnung des State Departments, Soldaten könnten bald in Leichensäcken zurückkehren in die Heimat, und dem Beschuss der russischen Botschaft in Damaskus Mitte der Woche, sagte sie. Im TV-Sender Swesda, der zum Verteidigungsministerium gehört, werden derweil Truppenstärke und Bewaffnung der USA und Russlands verglichen - mit ermunterndem Ergebnis für Moskau.

Russland wäre in einem neuen Wettrüsten chancenlos

Der Konflikt in Syrien habe sich in dem einen Jahr, seit die russische Luftwaffe eingreift, zu einem Stellvertreterkrieg wie zur Zeit des Kalten Krieges entwickelt, urteilt der Moskauer Militärexperte Alexander Golz. Wie in Vietnam, Afghanistan, Nicaragua kämpften von den zwei Blöcken bewaffnete und trainierte Gegner. In anderen Bereichen ist die Lage indes nicht mit dem Kalten Krieg vergleichbar. Außer den Nuklearwaffen ist Russland wenig von der Stärke der Sowjetunion geblieben. In der Sowjetunion lebten 286 Millionen Menschen, in Russland leben heute halb so viele. Seine Wirtschaftskraft ist vergleichbar mit der des krisengeschüttelten Spanien. Eine stringente Ideologie, die einen Wettbewerb der Systeme unterfüttern könnte, fehlt.

Dass Putin vor einem neuen Wettrüsten warnt, kann man ihm glauben - Russland wäre darin chancenlos. In drei Jahren Krise sind die Reserven fast aufgebraucht. Seit Oktober vergangenen Jahres haben sich die Mittel im Nationalen Reservefonds von damals 70,5 Milliarden Dollar auf 32 Milliarden mehr als halbiert. Trotzdem schlug das Finanzministerium Anfang der Woche vor, den geheim gehaltenen Teil des Haushalts - in dem Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit versteckt sind - um umgerechnet zehn Milliarden Euro aufzustocken.

In der Logik der Schutzgelderpressung

Laut Nationalbank ist kein Ende der Stagnation in Sicht. Umgekehrt heißt das: Russland ist vielleicht schwach, wird aber in absehbarer Zukunft (zum Beispiel einer möglichen Regierungszeit Putins bis 2024) nie wieder so stark sein wie jetzt. Wenn Putin die Konfrontation sucht, ist es besser, sie jetzt zu suchen, als zu warten.

Der Kreml habe eine Methode entwickelt, eigene Schwäche durch Drohgebärden zu kompensieren, schrieb der Moskauer Historiker Sergej Medwedew gerade in einem Essay. In Zeiten niedriger Energiepreise seien nicht Öl und Gas Hauptexportgüter Russlands, sondern Angst: "In einer Risikogesellschaft gewinnen diejenigen, die es schaffen, Angst hervorzubringen und aus ihr Kapital zu schlagen, indem sie sie in eine politische und wirtschaftliche Ressource verwandeln."

Putin handle nach dem Muster von Schutzgelderpressern: Erst werde eine Bedrohung inszeniert, und dann ein Schutz gegen sie angeboten. Dass das funktioniert, lässt sich daran sehen, dass Moskau den Krieg im Donbass zwar gestartet hat, nun aber nicht als Kriegspartei, sondern als Vermittler am Tisch sitzt. In Syrien bombardierte die russische Luftwaffe Wohnviertel und Krankenhäuser und brachte die Amerikaner dazu, dem Austausch von Militär- und Geheimdienstinformationen und sogar einem gemeinsamen Lagezentrum zuzustimmen. Das Prinzip gerinnt in der Formel, die auch der deutsche Außenminister anführt: "Eine dauerhafte Lösung der globalen Probleme ist nur mit Russland möglich."

Versuche, Moskau mit Sanktionen oder Kooperationsangeboten zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, können in der Logik der Schutzgelderpressung aber höchstens kurzfristig wirken. Langfristig würde Moskau auf seine wichtigste Ressource verzichten: die Angst. In der Kündigung des Plutonium-Abkommens wurde diese Mischung aus Schwäche und Drohung nochmals deutlich. Weder die USA noch Russland haben vor, aus den Restbeständen Atomsprengköpfe zu bauen.

Der New Start Vertrag von 2010 bleibt in Kraft. Trotzdem verband Putin den Schritt mit einem Forderungskatalog: Washington soll die Infrastruktur abbauen, die es nach 2000 in den neuen Nato-Staaten errichtet hat; es soll das Magnizkij-Gesetz aufheben, das russischen Amtsträgern die Einreise verbietet, wenn sie Menschenrechte verletzt haben, und alle Sanktionen aufheben sowie Reparationen für Schäden zahlen. Dass die Forderungen nicht erfüllbar sind, weiß man auch im Kreml. Aber für eine neue US-Regierung sind die Ansprüche schon einmal hochgesetzt.

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