Süddeutsche Zeitung

Russland:Wahlzwang und Bestechung

Mehr als 1000 Meldungen über Unregelmäßigkeiten bei der Wahl neuer Gouverneure und Regionalparlamente.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Russische Fachleute sollen nach dem Willen von Mitarbeitern des vergifteten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny nicht an der Aufklärung des Falles teilnehmen dürfen. Es sei "komplett inakzeptabel", dass russische Beamte zur Ermittlung nach Deutschland kommen oder an der Zeugenvernehmung von Nawalny teilnehmen dürften, sagte Nawalnys Stabschef Leonid Wolkow der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Eine entsprechende Forderung war aus Moskau verbreitet worden. Wolkow bezeichnete die Forderung als "Propaganda". Nawalny war am 20. August auf einem Flug zusammengebrochen, er wird in der Berliner Charité behandelt. Deutschen Experten zufolge wurde Nawalny mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftet. Deutsche Politiker, darunter der Bewerber um den CDU-Vorsitz Norbert Röttgen, lehnten das Ansinnen ab, Russland könnte eigene Ermittler nach Deutschland senden.

Bei der Wahl neuer Gouverneure und Regionalparlamente in Russland am Wochenende hat es Beobachtern zufolge Unregelmäßigkeiten gegeben. Es seien bereits mehr als 1000 Meldungen über mögliche Verstöße eingegangen, sagte der Co-Vorsitzende der unabhängigen Wahlbeobachtungsgruppe Golos, Grigori Melkonjanz, am Sonntagmittag dem Radiosender Echo Moskwy in Moskau.

In den Regionen des Landes waren Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen. Wahlbeobachter hätten über Behinderungen ihrer Arbeit berichtet, sagte Melkonjants. Es sei dabei auch Gewalt angewendet worden. "Es gibt Berichte über Wahlzwang und Bestechung aus vielen Regionen." Einige Wahllokale hatten bereits am Freitag geöffnet. Die Behörden wollten so laut eigenen Angaben das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus verringern. Kritiker befürchteten aber Manipulationen, weil eine Kontrolle der Wahl über drei Tage hinweg schwierig sei. Die Regionalwahl gilt als wichtiger Stimmungstest - auch für die Parlamentswahl 2021.

Die Abstimmung steht auch unter dem Eindruck der Vergiftung von Nawalny. Sein Team hatte die Wähler aufgerufen, für beliebige Kandidaten zu stimmen, nur nicht für die Kremlpartei Geeintes Russland, um deren Macht zu brechen. Bevor Nawalny auf einem Flug nach Moskau zusammengebrochen war, hatte er in Sibirien die Wahlen vorbereitet. Für den Kreml in Moskau war vor allem die Wahl neuer Gouverneure in 18 Regionen besonders wichtig. Es wurden zudem neue Stadträte und Bürgermeister gewählt.

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SZ vom 14.09.2020
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