Russland:Vom Metroausbau zur Weltpolitik

Russia's Putin Delivers Annual Address

Vor fast 1900 Journalisten aus aller Welt erklärte der russische Präsident Wladimir Putin seine Sicht der Dinge.

(Foto: Andrey Rudakov/Bloomberg)

Wladimir Putin zeigt sich bei der jährlichen Pressekonferenz gelassen. Er will die Beziehungen zum Westen normalisieren und stellt der Ukraine Gaslieferungen in Aussicht.

Von Frank Nienhuysen

"Ich liebe Putin", hatte die junge Frau aus Jekaterinburg auf ihr Schild gemalt, aber es dauerte dann doch knapp vier Stunden, ehe sie endlich aufstehen und eine Frage stellen durfte. Es ging um den Ausbau der städtischen Metro. Die Aufmerksamkeit des russischen Präsidenten zu fesseln, wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Die Zahl der zugelassenen Journalisten auf der jährlichen Pressekonferenz ist noch einmal größer geworden, die Fläche der zugelassenen Plakate dagegen war diesmal so klein wie nie. Lediglich Schilder in der Größe eines DIN-A4-Blatts durften die 1895 akkreditierten Medienvertreter hochhalten. Dafür wurden sie umso bunter: Eine Journalistin versuchte es mit einer gemalten grünen Neujahrstanne, mal wedelte jemand mit einem roten Herz, mal mit einer Ikone, eine Frau kam im Märchenkostüm, ein Mann warb mit dem Schriftzug "Ich bin der jüngste Journalist", was ihm allerdings auch nicht weiterhalf.

Bereits zum 15. Mal stellte sich Wladimir Putin im Dezember den Fragen in- und ausländischer Journalisten, und eine davon kam vom Moskauer Spiegel-Korrespondenten, der den Präsidenten auf das Attentat auf einen Georgier im Kleinen Tiergarten in Berlin ansprach. Der Mord hatte die Bundesregierung vor einer Woche veranlasst, zwei russische Diplomaten auszuweisen, weil die deutschen Ermittler den Verdacht haben, dass staatliche Stellen in Russland in die Tat verwickelt sind. Putin hatte noch beim Normandie-Treffen in Paris Deutschland vorgeworfen, dass es das russische Auslieferungsersuchen abgelehnt hätte. Seine Antwort auf der Pressekonferenz klang nun jedoch anders. Demnach hätten sich beide Staaten lediglich "auf Ebene der Sicherheitsorgane" ausgetauscht, sagte Putin. Von einem abgelehnten Auslieferungsersuchen sprach er nicht mehr. Wohl aber erneut davon, dass der Getötete bei einem Anschlag 98 Menschen umgebracht hätte und auch mit den Selbstmordanschlägen in der Moskauer Metro zu tun habe.

Putin wirkte diesmal nicht aufgebracht über die deutsche Seite, und offenbar war ihm auch sonst nicht danach, das belastete Verhältnis zum Westen unnötig zu betonen. Auf die Sanktionen der Europäischen Union angesprochen, die am Donnerstag vom Ministerrat in Brüssel bis Ende Juli verlängert wurden, sprach sich der Kremlchef grundsätzlich für einen Abbau der Handelsbeschränkungen aus, weil sie "große Verluste" bedeuteten. "Wir wollen eine vollständige Normalisierung" der Beziehungen, sagte Putin. Er wies darauf hin, dass es nicht nur um monatliche Millionen- und Milliardensummen gehe, die beide Seiten verlören, sondern auch um Arbeitsplätze. Aber es gebe natürlich auch Vorteile. Wegen der Sanktionen, die Russland wiederum gegen die EU erließ und die den Import europäischer Waren einschränken, würde nun die heimische russische Produktion angetrieben.

Putins Botschaften sind immer vor allem Botschaften an die russische Bevölkerung, und so achtete er sehr darauf, die Gelassenheit eines Mannes zu verströmen, der die Lage des Landes völlig im Griff hat. Seine Zustimmungsraten sind immer noch hoch, aber sie sind gefallen. Im Sommer wurde die gedämpfte Stimmung sichtbar, als Zehntausende Menschen protestierten und Veränderungen forderten.

Nach mehr als vier Stunden blieben viele Fragen. Etwa, wie es mit Putin selbst weitergeht

Die russische Wirtschaft wächst nur äußerst bescheiden, die Bevölkerung spürt Stillstand und einen Rückgang der Kaufkraft. Da hilft es, den Vergleichszeitraum eben etwas weiter zurück zu fassen. Putin erinnerte daran, wie sich Russland verändert habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten. So seien 15 Bahnhöfe und drei Flughäfen neu gebaut und die Zahl der Autobahnen verdoppelt worden. Als Erfolgsgeschichte präsentierte er auch den Wandel des Landes vom Getreideimporteur zum größten Lieferanten in der Welt, überholt habe Russland Kanada und die USA. Und die russischen Streitkräfte gehörten inzwischen zu den am modernsten ausgestatteten in der Welt. Andererseits erinnerten ihn russische Journalisten bei der Fragestunde auch daran, wie erbärmlich etwa die Zustände in einem zentralen Sankt Petersburger Krankenhaus seien, wo die Ärzte unter unwürdigen Bedingungen arbeiten müssten.

Eine solch gigantische Pressekonferenz, zu der russische Journalisten stundenlang aus Fernost einfliegen, ist eine Tour d'Horizon durch Russland und die Welt. Gerade noch berührt eine Fragestellerin aus Samara einen Brückenbau über die Wolga, dann geht es schon zurück zur Weltpolitik. So hält Putin das Impeachment gegen US-Präsident Donald Trump für ungerecht, es werde im Senat sicher abgelehnt. Großbritannien prophezeite er, dass sich nach dem Brexit das Verhältnis wohl verbessern werde.

Nach mehr als vier Stunden Antworten blieben allerdings viele Fragen. Zum Beispiel, wie es mit ihm selbst weitergehe, da er in seiner letzten Amtszeit ist. Vielleicht könne man ja aus der Verfassung streichen, dass niemand noch einmal antreten darf, der bereits zweimal nacheinander Präsident war - so wie er selbst. Putin betonte das Wort "nacheinander". Aber erklärt hat er es nicht. Russland rätselt.

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