Süddeutsche Zeitung

Russland:Verbot ganz ohne Umwege

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Weil sie sich in den Augen der Regierung politisch betätigt, muss die russische Juristen-Vereinigung Agora aufhören.

Von Julian Hans, Moskau

Zum ersten Mal lässt der russische Staat eine Menschenrechtsorganisation auflösen und verzichtet dabei ganz auf die gebräuchlichen Umwege wie angebliche Verstöße gegen Vorschriften. Das oberste Gericht der autonomen Republik Tatarstan gab am Mittwoch dem Antrag des russischen Justizministeriums statt und ordnete die Liquidierung der überregionalen Juristen-Vereinigung Agora an.

Zur Begründung hieß es, die Organisation betätige sich politisch. Allerdings wird Agora bereits seit Juli 2014 vom Justizministerium als "Agent des Auslands" eingestuft. Um auf dieser Liste zu landen, ist eine politische Tätigkeit die Voraussetzung, neben der Bedingung, Geld aus dem Ausland zu erhalten. Derzeit stuft das Justizministerium 116 Organisationen als "ausländische Agenten" ein, darunter fast alle namhaften Menschenrechtsgruppen wie etwa das Sacharow-Zentrum oder das Menschenrechtszentrum Memorial. Die so bezeichneten Organisationen müssen strengere Auflagen erfüllen als andere.

Agora entstand 2005 als Zusammenschluss mehrerer regionaler Gruppen, die politisch Verfolgten kostenlos Rechtsberatung anboten. Als Nationalisten 2007 ein Lager von Umweltschützern überfielen und einer der Teilnehmer getötet wurde, erreichten Agora-Anwälte in jahrelangen Verfahren ein Urteil gegen einen der Angreifer. Als 2009 der Anwalt Stanislaw Markelow und die Journalistin Anastasija Baburowa in Moskau erschossen wurden, nahmen sich die Juristen des Falls an. Er führte zu einer "Kampfgruppe russischer Nationalisten", kurz Born, einer Art russischem NSU, der Mordanschläge auf Andersdenkende verübte und Verbindungen in die Politik unterhielt.

Etwa 40 Anwälte arbeiten für Agora in 35 Regionen des Landes. Sie brachten den Fall Pussy Riot vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg und verteidigten den auf der Krim geborenen Regisseur Oleg Senzow, der im vergangenen Jahr zu 20 Jahren Lagerhaft wegen Terrorismus verurteilt wurde. Agora will auch das Urteil gegen die eigene Organisation anfechten.

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Quelle:
SZ vom 12.02.2016
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