Russland - USA:Spiel ohne Regeln

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Moskau will nicht verhandeln, sondern Bedingungen stellen. Der Westen gerät immer mehr unter Druck. Es ist Zeit, dass er sein Immunsystem stärkt.

Von Stefan Kornelius

Im Kalten Krieg war die Sache relativ einfach. Zwischen den Blöcken gab es eine Grenze. Sie war mit Stacheldraht und Minenstreifen gesichert. Auf der einen Seite glaubte man an Planwirtschaft und das, was man Sozialismus nannte. Auf der anderen Seite gab es Marktwirtschaft und Demokratie mit all ihren Komplikationen. Der Block im Osten war autoritär und intransparent. Der Block im Westen zog seine Legitimität aus freien Wahlen und freien Meinungen. Und weil zwischen den Blöcken der Stacheldraht gespannt war, ließ sich die als Bedrohung empfundene Existenz der anderen Seite mit einem ansehnlichen Waffenarsenal auf Distanz halten.

Heute gibt es die geografischen Blöcke nicht mehr. Aber es gibt die wachsende Gewissheit, dass eine ähnliche Konfrontation längst begonnen hat. Als die USA in dieser Woche die Gespräche mit Russland über Syrien beendet haben und Russland mit einer Salve an Forderungen und Beschuldigungen antwortete, war das keine folkloristische Reminiszenz an vergangene Zeiten. Es war die Zukunft.

Die Machtarchitektur der Welt ändert sich - Moskau profitiert

Simpel gesprochen stehen sich heute wieder zwei Lager gegenüber: Der demokratische Block ringt mit einem komplizierten Regelwerk um ein erträgliches Niveau von Recht und Gerechtigkeit; er versucht, den Idealen von Freiheit beim Reden und Handeln gerecht zu werden in einer Welt, in der die Gesetze unbegrenzter Kommunikation gelten und in der die Bürger vor der Komplexität der Politik zurückschrecken.

Der autokratische Block hingegen funktioniert mit Stärke, Kontrolle und einem schrumpfenden Grad an Freiheit; er nutzt die Vorteile der offenen Welt, ohne sich aber selbst an die Regeln zu halten.

Dieser moderne Systemkonflikt kriecht ins Nervensystem vieler Staaten und setzt Gesellschaften einer ungeheuren Belastung aus. Schleichend entsteht eine neue Machtarchitektur auf der Welt, ohne dass jemand die Baupläne dafür kennt. Diese Woche war symptomatisch dafür: Die Aufkündigung der Syrien-Gespräche hat zunächst symbolischen Charakter. Washington redet ja weiter intensiv mit Moskau, etwa über die Umsetzung des Minsker Friedensprotokolls für die Ukraine und sogar über Syrien. Andererseits steckt hinter dieser Geste der Resignation mehr als Tagestaktik: Washington gesteht ein, dass es mit seinen Mitteln in dieser Auseinandersetzung nicht mehr weiterkommt. Mit Worten lässt sich dieser Systemkonflikt nicht lösen.

Russland verstärkt den Kommunikations-Kollaps mit der Aufkündigung eines vor allem symbolisch wichtigen Abrüstungsvertrags zur Vernichtung von waffenfähigem Plutonium. Das hat dann mehr mit Propaganda als mit Interessen zu tun (Moskau selbst müsste daran gelegen sein, die atomaren Altlasten aus dem Kalten Krieg unter Kontrolle zu bekommen), verfehlt aber seine Wirkung vor allem im Westen nicht.

Dieses Spiel mit Offensive und Defensive beherrscht Russland meisterhaft, weil es alle eingeübten Regeln der vergangenen Jahrzehnte ignoriert. Die Regierung stellt einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen Syrien und Abrüstung her ("wegen unfreundlichen Verhaltens"), garniert das ganze mit ein paar Bombendrohungen und verabschiedet flugs ein Gesetz, das die USA weiter in die Defensive treiben soll: Moskau verlangt den Rückzug von Soldaten aus Osteuropa, Schadenersatz für Sanktionen und die Aufhebung "antirussischer Gesetze". Man sieht: Die Forderungen sind flexibel formuliert und insofern nie erfüllbar. Die Botschaft aber ist eindeutig: Wir haben uns nichts mehr zu sagen, wir stellen Bedingungen.

Der alte Kalte Krieg ist tot, aber die uralte Schlacht um Überlegenheit und Macht geht selbstverständlich weiter. Wenn an diesem Freitag der Friedensnobelpreis vergeben wird, wünscht man sich einen Preisträger, der die Mechanik dieser neuen Konfrontation versteht und entschärfen kann. Doch den gibt es noch nicht.

Die westliche Staatenwelt muss sich nun darauf konzentrieren, ihre Immunkraft zu verbessern. Sie hat zwei Mittel zur Hand: Offenheit und Recht. Gerade die offene Kommunikation muss im Sinne einer wehrhaften Demokratie verteidigt werden gegen die postfaktischen Lügengebilde, die sie zu zerstören drohen. Nicht weniger bedeutend sind die Regeln, die sich Staaten im Umgang miteinander setzen, und deren Bruch sanktioniert werden muss. Sanktionen und eine klare Abgrenzung sind harte und auf lange Sicht wirkungsvolle Mittel, um sich von falschen Verhältnissen zu distanzieren. Demokratien leben von ihrer Kraft als Vorbild. Ihre Prinzipien lassen sich nicht exportieren, sondern nur importieren. Demokratie wird man schätzen und haben wollen, wenn alles andere unerträglich ist. Das hat der Kalte Krieg gelehrt.

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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