Gefangenenaustausch:Scholz empfängt Freigelassene am Flughafen

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Bundeskanzler Scholz empfängt die Freigelassenen am Flughafen Köln/Bonn. (Foto: Marvin Ibo Güngör/DPA)

Beim größten Deal dieser Art seit dem Kalten Krieg kommen 24 Personen frei, darunter der US-Reporter Evan Gershkovich und der Tiergarten-Mörder Wadim Krasikow. Kanzler Scholz betont, die Entscheidung sei nicht leicht gefallen.

Von Dominik Fürst, Raphael Geiger, Silke Bigalke, Georg Mascolo

Zwischen Russland, den USA, Deutschland und anderen europäischen Staaten hat an diesem Donnerstag in der Türkei ein großer Gefangenenaustausch stattgefunden. Bei dem größten Deal dieser Art seit dem Kalten Krieg kamen 24 Personen frei. Darunter waren der in Russland inhaftierte Wall-Street-Journal-Reporter Evan Gershkovich; der ehemalige US-Marineinfanterist Paul Whelan und der russische Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa. Auch der Russe Wadim Krasikow, der im Dezember 2021 wegen eines Auftragsmords im Berliner Tiergarten zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, war Teil des Deals. Der Gefangenenaustausch fand, angeblich unter Koordination des türkischen Geheimdienstes, am Flughafen in Ankara statt.

„Das war sehr bewegend“, sagt Scholz

Dem türkischen Präsidialamt zufolge waren von dem Austausch insgesamt 26 Personen betroffen, darunter zwei minderjährige Russen, deren Eltern in Slowenien inhaftiert und die bei einer Pflegefamilie untergebracht waren. Die 24 Erwachsenen waren in Russland, den USA, Deutschland und drei weiteren westlichen Staaten inhaftiert. Insgesamt 13 Personen würden demnach nach Deutschland gebracht, drei in die USA, zehn Personen im Gegenzug nach Russland, US-Präsident Joe Biden teilte in einer schriftlichen Stellungnahme mit: „Wir haben die Freilassung von 16 Personen aus Russland ausgehandelt, darunter fünf Deutsche und sieben russische Staatsbürger, die in ihrem eigenen Land politische Gefangene waren.“

Unterstützer der russischen Opposition organisierten eine spontane Demonstration am Flughafen Köln/Bonn, um die Freigelassenen zu begrüßen. (Foto: Christoph Reichwein/DPA)

Bundeskanzler Olaf Scholz empfing die Freigelassenen am Flughafen Köln/Bonn. „Das war sehr bewegend“, sagte er. Auch wenn die Freilassung des Tiergarten-Mörders einen Beigeschmack hinterlässt, spricht Scholz von einer „richtigen Entscheidung“. Die Koalition habe sie nach sorgfältiger Rücksprache getroffen, auch mit Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) habe Scholz telefoniert.

Zuvor hatte ein Sprecher der Bundesregierung erklärt, dass in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und europäischen Partnern die Freilassung von 15 Personen gelungen sei, „die unrechtmäßig in Russland in Haft saßen sowie eines deutschen Staatsangehörigen, der in Belarus zum Tode verurteilt worden war“. Dies sei nur möglich gewesen, indem russische Staatsangehörige mit geheimdienstlichem Hintergrund, die in Europa in Haft saßen, abgeschoben und nach Russland überstellt wurden. Darunter auch Krasikow.

Die Hinterbliebenen sind enttäuscht, Putin zeigt sich erfreut

Die Angehörigen des Opfers zeigten sich enttäuscht. „Das war eine niederschmetternde Nachricht für uns Angehörige“, teilten diese über ihre Anwältin der Deutschen Presse-Agentur mit. „Einerseits sind wir froh, dass jemandes Leben gerettet wurde. Gleichzeitig sind wir sehr enttäuscht darüber, dass es in der Welt anscheinend kein Gesetz gibt, selbst in Ländern, in denen das Gesetz als oberste Instanz gilt“, hieß es weiter. Krasikow hatte 2019 einen tschetschenischstämmigen Georgier erschossen – dieser führte im Zweiten Tschetschenienkrieg eine Miliz im Kampf gegen Russland an.

Wadim Krasikow verlässt in Moskau das Flugzeug. (Foto: Mikhail Voskresenskiy/Imago/SNA)

Auch der russische Präsident Wladimir Putin kam persönlich zum Moskauer Flughafen Wnukowo, wo die freigelassenen Russen gelandet waren. Der Kremlchef umarmte mindestens einen der Männer noch auf dem Rollfeld, wo die Präsidentengarde Spalier stand, wie vom Kreml veröffentlichte Fernsehbilder zeigten. „Ihr seid zu Hause, ihr seid in der Heimat“, begrüßte Putin die Freigelassenen und kündigte an, dass sie für staatliche Auszeichnungen vorgeschlagen würden.

Seit Tagen gab es Hinweise

In den vergangenen Tagen hatte es bereits Hinweise auf einen bevorstehenden Gefangenenaustausch gegeben. Der Kreml hatte entsprechende Fragen von Journalisten nie kommentiert. Allerdings heizte er die Spekulationen an, als er diese Woche mehrere prominente politische Gefangene gleichzeitig aus ihren Straflagern verlegen ließ, darunter den Menschenrechtler Oleg Orlow und den Oppositionspolitiker Ilja Jaschin. Dazu kam in dieser Woche die Begnadigung eines Deutschen in Belarus: Rico K. war dort wegen eines angeblichen terroristischen Aktes zum Tode verurteilt worden, Belarus’ Diktator Alexander Lukaschenko hob das Urteil am Dienstag auf.

Damit spitzten sich die Gerüchte über einen möglichen Austausch zu, die seit Wochen auch in Russland diskutiert worden waren. Schließlich war auch der US-Journalist Gershkovich erst vor zwei Wochen im russischen Jekaterinburg verurteilt worden, schneller als erwartet. Das Urteil galt immer als Voraussetzung für einen möglichen Deal. Der US-Reporter ist eine der prominentesten Personen unter den Freigelassenen. Er hatte vor seiner Verurteilung als Korrespondent für das Wall Street Journal in Russland gearbeitet. Die Vorwürfe gegen sich wies er, wie auch die Zeitung und die US-Regierung, stets als haltlos zurück.

Entscheidend für den Deal dürfte die Freilassung des Tiergarten-Mörders sein

Entscheidend für das Zustandekommen des Deals dürfte jedoch eine andere Personalie gewesen sein: In den Verhandlungen zwischen den beteiligten Staaten zeichnete sich früh ab, dass ein Deal ohne Wadim Krasikow nicht möglich sein würde. Deutsche und US-Dienste kamen zu der gleichen Einschätzung, den sogenannten Tiergarten-Mörder nach Moskau nach Hause zu holen, habe für Russlands Staatspräsident Wladimir Putin selbst hohe Priorität. Schon um jeden weiteren Agenten und selbst Auftragsmördern das Signal zu senden, dass Russland sie niemals vergessen und sich um ihre Freilassung kümmern werde.

So kontaktierten die US-Behörden vertraulich die Deutschen, um zu fragen, ob der verurteilte Tiergarten-Mörder für einen Austausch zur Verfügung gestellt werden würde. Anfangs gab es Zögern in der Bundesregierung, immerhin ist Krasikow ein im Dezember 2021 zu lebenslanger Haft verurteilter Mörder, der jetzt erst einen geringen Teil seiner Strafe abgesessen hat. Erwogen wurde auch, ob man Krasikow nicht für einen eigenen Deal in der Hinterhand behalten müsse, Russland könne jederzeit etwa einen deutschen Journalisten oder eine Journalistin verhaften – dann brauche man Krasikow womöglich selbst. Politisch motivierte Verhaftungen – faktisch Geiselnahmen – sind ein schmutziges Geschäft, viele Bundesregierungen haben damit inzwischen Erfahrungen machen müssen, am schlimmsten treibt es seit Jahrzehnten Iran. Das Land handelte schon politische Zugeständnisse oder die Umgehung von Sanktionen für die Freilassung deutscher Staatsbürger aus. Mancher in der Bundesregierung fürchtet, dass Russland zu ähnlichen Methoden greifen könnte.

Für Irritation sorgte um die Jahreswende der Gedanke, ob auch der damals in einem russischen Straflager inhaftierte Alexej Nawalny Teil eines Austausch-Paketes werden könnte. Der Fall des in Russland vergifteten – in Deutschland erfolgreich geheilten und dann freiwillig wieder nach Russland gereisten – Regime-Kritikers hatte zu den bis dahin schwersten Verwerfungen im deutsch-russischen Verhältnis geführt.

Auf dem Flughafen von Ankara fand der Austausch am Donnerstag statt. (Foto: Serdar Ozsoy/Getty)

Im Innen- und im Außenministerium kamen Fragen auf, man habe Nawalny bereits einmal gerettet, dann habe er sich freiwillig für die Reise nach Russland entschieden. Was, wenn er dies nach der Freilassung wieder so entscheide? Und vor allem: Was für ein Signal sende es, einen zu Unrecht inhaftierten Politiker gegen einen Mörder auszutauschen? Schließlich starb Nawalny in diesem Februar in der Haft, seine Familie und seine Anhänger halten es für Mord. Die westlichen Geheimdienstchefs – darunter solche, die an den Beratungen über einen möglichen Austausch direkt beteiligt sind – erfuhren davon während eines Mittagessens auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

In der Türkei zeigten sich die Regierenden an diesem Donnerstag stolz auf ihre geopolitische Rolle, besonders darauf, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan sowohl mit Russland als auch mit der Ukraine spricht. Er vertraue Russland ebenso sehr wie dem Nato-Partner USA, ließ er wissen. Jetzt spielte die Türkei dank ihrer Verbindungen zu beiden Seiten wohl eine wichtige Rolle bei dem Gefangenenaustausch zwischen Moskau und dem Westen.

Für Erdoğan, der sich zuletzt erfolglos um einen neuen Getreidedeal zwischen Kiew und Moskau bemüht hat, und der enttäuscht war, dass er bei den Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas keine Rolle spielt, ist der Austausch in seinem Land jedenfalls ein politischer Erfolg.

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