Russland und Ukraine:Putin macht einen strategischen Schritt zurück

Russia's President Putin attends a signing ceremony at the St. Petersburg International Economic Forum 2014 in St. Petersburg

Der russische Präsident Putin auf dem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg

(Foto: REUTERS)

Russland will mit Wahlsieger Poroschenko in der Ukraine einen Dialog führen, das schon. Aber niemand sollte sich täuschen: Wladimir Putins Ziel ist weiterhin klar - und Instrumente hat er genug, um der Führung in Kiew das Leben schwer zu machen.

Ein Kommentar von Frank Nienhuysen

Moskau hätte auch einfach nichts tun, den warmen Sonntag nur so dahinziehen lassen können, aber das erschien dem Kreml zu wenig. Die Wahllokale in der Ukraine waren noch geöffnet, da gab Russland zur Abstimmung bereits eine dezente Stellungnahme ab. Sie kam von Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew, der im Schatten des Wahltags auf die Krim reiste und dort persönlich begutachtete, wie es denn so vorangehe mit der Herausgabe russischer Pässe. Die Botschaft an Kiew: Ihr könnt zwar wählen, aber die Krim gehört uns.

Doch auch die Ukraine hat eindeutige Signale nach Moskau geschickt. Ausgerechnet an jenem Tag, an dem in Frankreich der Front National siegte, rechte Parteien auch in Großbritannien, Dänemark, Österreich oder Ungarn mit ihren Stimmanteilen triumphierten, zeigten die Ukrainer das schiere Gegenteil: Die rechtsextremen Kandidaten Oleg Tjahnybok und Dmitro Jarosch, vor denen Moskau stets warnt, erhielten zusammen nicht einmal kümmerliche zwei Prozent. Die Version von der faschistischen Junta in Kiew dürfte Moskau bald verblassen lassen, stattdessen zeigt es sich bereit, mit dem Wahlsieger Petro Poroschenko einen Dialog zu führen. Das klingt nach Entspannung, ist es aber nicht.

Der Anschluss der Krim an Russland, der zähe Konflikt im Osten der Ukraine, Wladimir Putins "Neurussland"-Bemerkung im April, die von den Separatisten sogleich übernommen wurde - all dies zeugt von einem gewissen strategischen Schlachtplan, und manchmal geht es darin eben auch einen taktischen Schritt zurück. Die Präsidentenwahl in der Ukraine könnte ein solcher Schritt sein. Nach langem Zieren hat sich Russland bereit erklärt, das Votum der Ukrainer zu akzeptieren, aber es weiß auch: Die Europäische Union würde sofort mit ersten Wirtschaftssanktionen antworten, sollte Russland Abstimmung und Ergebnis in der Ukraine desavouieren.

Russland will Kiews Anbindung an die EU weiterhin verhindern

Putin hält die EU im Grunde zwar für eine schwerfällige Konsensmaschine, entscheidungsschwach und ohne klare Kanten. Aber Europas deutliche Drohung mit wirtschaftlichen Strafen hat ihn offenbar beeindruckt, zumindest zur Vorsicht gemahnt. Russland steuert auf eine Rezession zu, und so weit ist die russisch-chinesische Freundschaft noch nicht, dass sie Europa so schnell ersetzen könnte. Deshalb also zunächst so etwas wie freies Geleit für Poroschenko. Doch da sollte sich niemand täuschen: Die Wahl des Pralinen-Milliardärs zum Präsidenten dürfte am Grundkonflikt mit Russland wenig ändern.

Poroschenko will den Ausgleich mit Russland suchen, aber es ist eben auch jener Poroschenko, dessen Süßwaren-Imperium Opfer eines Moskauer Wirtschaftsboykotts geworden ist, just als Kiew auf die Europäische Union zusteuerte. Auch der Wahlsieger verfolgt Ziele, die Moskau wenig schmecken dürften. Er will den ukrainischen Westkurs fortsetzen, die bewaffneten Separatisten im Osten weiter bekämpfen, und er will auch die Krim nicht einfach aufgeben. Vor allem die Anbindung an die Europäische Union möchte Russland verhindern, denn noch immer gilt, was schon unter Janukowitsch galt: Ohne die Ukraine, ohne Kiew, das Russland als Wiege seiner Zivilisation ansieht, kann aus der geplanten Eurasischen Union kaum das gedachte Konkurrenzmodell zur EU werden.

Instrumente hat Russland genug, um der künftigen Kiewer Führung das Leben schwer zu machen, um starken Einfluss auf den slawischen Bruderstaat auszuüben. Gas nur gegen üppige Vorkasse ist das eine, mögliche Vetorechte der ukrainischen Ostregionen gegen Entscheidungen Kiews wären ein weiteres. Doch solange dort die Separatisten wüten, bleibt Kiew ohnehin geschwächt, während Moskau sich weiter stark fühlt. Warum sollte es daran etwas ändern wollen?

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