Süddeutsche Zeitung

Russland und Flug MH17:Im Zweifel Zweifel säen

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Der Westen beschuldigt prorussische Separatisten, Flug MH17 abgeschossen zu haben. Die Führung in Moskau will diese Lesart schwächen und versucht immer wieder auf die Ermittlungen einzuwirken.

Von Julian Hans, Moskau

Zehn Tage waren vergangen nach der Katastrophe, da lud das russische Verteidigungsministerium ein, um seine Version der Ereignisse vorzustellen - und um Fragen zu stellen. Auf wandgroßen Bildschirmen präsentierte Andrej Kartapolow, der stellvertretende Vorsitzende des Generalstabs, Lagekarten, Flugrouten und Satellitenbilder. Aus den farbigen Linien, Pfeilen, Punkten und Fotos, die für Laien kaum verständlich, vor allem aber nicht überprüfbar waren, setzte das russische Militär ein eigenes Bild zusammen: Flug 17 der Malaysian Airlines, so die russische Version, ist kurz vor dem Abschuss aus dem von der Luftüberwachung vorgegebenen Korridor ausgebrochen, hat seine Geschwindigkeit gedrosselt und die Flughöhe gesenkt. Am Boden sollen russische Satelliten Flugabwehrgeschütze ausgemacht haben, die Moskau den ukrainischen Streitkräften zuschreibt. Radarsysteme, die für die Steuerung dieser Flugabwehrgeschütze gebraucht werden, sollen am 17. Juli verstärkt aktiv gewesen sein.

Außerdem hätte die russische Luftraumüberwachung, kurz nachdem die Boeing vom Radar verschwunden war, ein anderes Flugobjekt in der Nähe von deren vorheriger Position geortet, das nicht identifiziert werden konnte. Man gehe davon aus, dass es sich um ein ukrainisches Kampfflugzeug vom Typ SU-25 gehandelt habe.

Die Schlüsse, die in Russland aus den vorgestellten Daten gezogen werden, sind unterschiedlich. Der Generalstab ließ damals offen, zu welcher Version er neigt: Hat der ukrainische Kampfjet die Boeing abgeschossen? Oder waren es die Buk-Systeme am Boden? Oder hat sich der Kampfjet hinter dem Zivilflugzeug versteckt und damit die Flugabwehrrakete zum falschen Ziel geleitet? Aber wieso sollte dann die ukrainische Luftabwehr auf die eigenen Flugzeuge schießen?

Eine eigene Version des Abschusses war offenbar nicht das vorrangige Ziel der Präsentation. Eher ging es darum, Zweifel an dem Verlauf zu sähen, der bald nach dem Ereignis im Westen als der wahrscheinlichste angesehen wurde: Dass es die Separatisten waren, die mit aus Russland gelieferten (und möglicherweise sogar von dort gelenkten) Buk-Raketen versehentlich das Zivilflugzeug trafen. Einen Katalog mit 22 Fragen schickte Moskau an die Regierung in Kiew - und legt es seitdem immer wieder als vielsagendes Indiz aus, dass Kiew diese Fragen unbeantwortet ließ. Auch im Westen, vor allem im Internet, wirkte das wie Dünger für Verschwörungstheorien.

Doch während Außenminister Sergej Lawrow sich immer wieder öffentlich darüber entrüstet zeigte, dass die Daten des Flugschreibers noch nicht veröffentlicht sind, dürfte er selbst sehr genau wissen, dass die Richtlinien der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) eine Veröffentlichung von Einzelergebnissen vor der Veröffentlichung eines offiziellen Berichts nicht erlauben.

Da die russische Flugüberwachung in Rostow am Don bereits mit der Boeing Kontakt hatte, wurden deren Daten ebenfalls ausgewertet. Dazu wurden Experten der russischen Luftfahrtbehörde einbezogen. Der Bericht führt Russland daher als "Staat, der auf Anfrage Informationen lieferte" auf.

Moskau unternahm seitdem mehrere Vorstöße, um Einfluss auf die Ermittlungen zu bekommen - schließlich zeigten alle Finger auf Russland. Ende Juli bildete das Verkehrsministerium eine Untersuchungskommission, von der man allerdings nichts mehr gehört hat. Nachdem die von der UN-Resolution 2166 gestützte Waffenruhe am Absturzort gebrochen worden war, forderte Lawrow, die Untersuchungen sollten von der ICAO und den Vereinten Nationen gemeinsam koordiniert werden. Als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat hat Russlands Stimme dort Gewicht. Anfang des Monats startete der Duma-Vorsitzende Sergej Naryschkin noch einmal einen Versuch. "Wie das derzeit läuft, gefällt uns nicht", sagte er und forderte eine "transparente Untersuchung der Tragödie" vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Doch die Untersuchung von Flugkatastrophen ist längst geregelt - sie obliegt der ICAO.

In einer ersten Fassung dieses Textes hieß es, an der Untersuchung wären keine russischen Experten beteiligt gewesen. Das wurde korrigiert.

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SZ vom 10.09.2014
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