Russland und die Türkei:Bloß keine Schwäche zeigen

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Zwei, die keine Niederlagen hinnehmen können: Russlands Präsident Putin (re.) und sein türkischer Kollege Erdoğan bei einem Treffen in St. Petersburg vor zwei Jahren. (Foto: dpa)

Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan: Wenn zwei aneinandergeraten, die keine Niederlagen hinnehmen können, wird es gefährlich.

Von Julian Hans und Mike Szymanski, Moskau/Ankara

Es war ein strahlender Herbsttag in der russischen Hauptstadt. Unter blauem Himmel leuchtete die goldene Kuppel der Dschuma-Moschee in der Sonne, darunter schritten zwei Staatsmänner auf Socken nebeneinander über den türkisfarbenen Gebetsteppich. Den Teppich hatte die Türkei spendiert, auch den Kronleuchter und das prunkvolle Eingangsportal.

Recep Tayyip Erdoğan war der höchste Staatsgast, der zur Eröffnung der neuen Hauptmoschee gekommen war, die nun mit Platz für 10 000 Menschen das größte muslimische Gebetshaus in Europa ist. Wladimir Putin sprach vom Islam als einer der traditionellen Religionen in Russland und vom notwendigen Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, "der die religiösen Werte pervertiert". Erdoğan erinnerte an die Flüchtlinge, die vor den Extremisten fliehen. Sie hielten im Prinzip die gleiche Rede mit regionalen Variationen: traditionelle Werte, herrschaftlicher Anspruch, martialische Rhetorik. Hier treffen sich die beiden. Und als der Türke bei der Zeremonie in der grellen Moskauer Sonne eine dunkle Pilotenbrille aufsetzte, sah er auch ein bisschen aus wie jener martialische Putin, den sie in Russland gerade so gern auf T-Shirts tragen.

Das war am 23. September. Eine Woche später flogen russische Bomber ihre ersten Einsätze in Syrien. Eine weitere Woche verging, bis Ankara erstmals den russischen Botschafter einbestellte und sich über wiederholte Verletzungen des türkischen Luftraums beschwerte. Nach dem Abschuss der russischen Su-24 durch eine türkische F 16 am Dienstag, fast auf den Tag genau zwei Monate nach der harmonischen Zeremonie in Moskau, sind aus Partnern im Geiste Feinde geworden. Seit Jahren betreibe Erdoğan die Islamisierung seines Landes, kritisiert Moskau nun. Putin nennt ihn einen "Helfershelfer des Terrorismus".

Türkei schießt russischen Kampfjet ab, Reaktionen von Erdoğan und Putin (Video: Süddeutsche Zeitung/wochit, Foto: Reuters)

Zum 1. Januar führt Russland nun wieder die Visumpflicht für Türken ein.

Als ob die Russen den IS bekämpfen würden!, schimpft Erdoğan

Die Türkei - ein Land der Terrorhelfer und durchgeknallten Islamisten? Es dauerte nicht lange, bis Erdoğan reagierte: Niemand habe das Recht, die Türkei zu verleumden. Außerdem: Als ob die Russen den IS bekämpfen würden! Dort wo seine Piloten die Maschine vom Himmel geholt haben, gebe es keine IS-Kämpfer. "Da sollten wir uns nichts vormachen." Nur Rebellen, die gegen Assad kämpfen. Turkmenen, die Freunde der Türkei.

Erdoğan und Putin, zwei Machthaber, die ihre Länder mit harten Repressionen im Griff haben und ihnen nach außen zu neuer Größe verhelfen wollen. Beide sind fast gleich alt, Erdoğan 61, Putin 63 Jahre. Putin sieht sich an der Spitze einer Weltmacht, Erdoğan erhebt Anspruch auf eine bestimmende Rolle im Nahen Osten. Und beide Länder haben ihre Geschichte von Annäherung an Europa, von Enttäuschung und Abkehr vom Westen.

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Nun sind sie sich mit ihren Ansprüchen in die Quere gekommen und haben damit gleich noch einen anderen Konflikt zwischen zwei alten Rivalen verschärft: Zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert hat das Flugzeug eines Nato-Mitglieds einen russischen Flieger vom Himmel geschossen.

Eine Karriere als Profi-Fußballer blieb Erdoğan verwehrt

Erdoğans Familie stammt aus dem Dorf Güneysu an der Schwarzmeerküste. Die Nachbarn erzählen, dass der Junge, der seine Ferien hier verbrachte, reifer war als die anderen, zielstrebiger und härter. Im rauen Istanbuler Hafenviertel Kasımpaşa wächst er auf. Der Vater war Seemann. Viel Geld hatte die Familie nicht.

Bis heute pflegt Erdoğan das Image des frommen Mannes, der sich bis ganz nach oben durchboxte. Eine Karriere als Profi-Fußballer blieb ihm verwehrt, auch weil der Vater die kurzen Hosen unislamisch fand. Er wurde in jenem Milieu sozialisiert, auf das die kemalistische Elite jahrzehntelang herabschaute. Erdoğan erkannte in der sich unterdrückt fühlenden Masse das Potenzial, das Land umzukrempeln. Mit 15 fing er mit der Politik an. Weder Militärputsche, Parteiverbote noch eine Haftstrafe konnten seinen Aufstieg stoppen. Als er 2001 die islamisch-konservative AKP mitgründete, sagte er: "Ab jetzt ist in der Türkei nichts mehr so, wie es war."

Die einfache Herkunft haben Putin und Erdoğan gemeinsam, doch der Aufstieg läuft bei Wladimir Wladimirowitsch gänzlich anders. Der Sohn eines Arbeiters und überzeugten Kommunisten wuchs im Leningrad der Nachkriegszeit auf. Der schmächtige Junge entdeckt die Kampfsportarten Sambo und Judo, um sich in den Revierkämpfen der Leningrader Hinterhöfe zu behaupten. Noch heute zitiert er die Lehren, die ihm die Straße beigebracht hat: "Die Schwachen werden geschlagen", oder: "Wenn eine Prügelei unausweichlich ist, schlägst du besser als Erster zu."

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Auch bei seiner Begründung für den Syrien-Einsatz tauchten diese Sätze wieder auf. Anders als Erdoğan stellt der junge Putin sich nicht gegen das herrschende System, sondern sucht den Aufstieg im Innern, träumt von einem aufregenden Leben als KGB-Agent und bekommt doch einen eher langweiligen Job in der DDR. In Dresden soll er ausländische Studenten anwerben. Der Sturm auf die Dresdner Stasi-Zentrale 1989 wird für ihn zu einem Schlüsselerlebnis. Er ruft Moskau zu Hilfe, doch Moskau antwortet nicht. Nie wieder, so schwört er sich, darf der Staat solche Schwäche zeigen.

Als Boris Jelzin ihn 1999 zum Ministerpräsidenten ernennt, kennt kaum jemand in Russland den 46-Jährigen. Putin hat keine Partei geführt, keine Wahlkämpfe gewonnen. Er ist als loyaler Diener des Systems weiterempfohlen worden - bis an die Spitze des Staates. Erdoğan will ein altes System überwinden. Putin will einem alten System wieder zu Macht verhelfen, dessen Zusammenbruch er als "Katastrophe" erlebte.

Erdoğan denkt in den Grenzen des Osmanischen Reiches

Ankara in der Nacht zum 2. November. Die AKP hat gerade die absolute Mehrheit zurückerobert, sie kann wieder alleine regieren. Ihre Anhänger, die sich vor der Istanbuler Parteizentrale versammelt ha-ben, brüllen in die Nacht: "Die Osmanen kommen." Die Türkei ist Erdoğan nicht genug. Er denkt weiter: in den Grenzen des einst stolzen Osmanischen Reiches. An Syrien wollte er die angestrebte Rolle als Regionalmacht demonstrieren. Doch Gewaltherrscher Assad wollte keine Reformen, er stürzte das Land lieber in den Bürgerkrieg. Und die Türkei gerät immer tiefer in den Sog des kollabierenden Landes. Erdoğans Neo-Osmanismus sollte gute Beziehungen zu allen Nachbarn bringen. Heute hat sich die Türkei mit fast allen verkracht.

Auch Putin zielt auf ein Reich, dessen Einfluss weit über die Grenzen Russlands hinausreicht. Er nennt es nicht Sowjetunion, aber etwa auf ihr Gebiet erstreckt sich das Konzept des "Russkij Mir": Überall dort, wo Russen leben, muss Russland sie schützen. Diesem Prinzip folgend hat Putin den Krieg mit der Ukraine angefacht. Dass sich andere Mächte in Russlands "natürlichen Herrschaftsbereich" einmischen, lässt er nicht zu. Erstaunlich, wie dies dem Bild in Syrien ähnelt, wo sich Ankara als Schutzmacht der Turkmenen begreift und mit geballter Faust auf die Einmischung Russlands in ihr Einflussgebiet in Syrien reagiert.

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Eine Entschuldigung kommt Erdoğan nicht über die Lippen, weshalb der Kreml auch sein Ersuchen um ein Gespräch mit Putin ablehnt. Dabei ist es Erdoğan nicht gewohnt zu verlieren. Seitdem die AKP 2002 an die Macht kam, ging es bergauf. Als die Partei bei der Wahl im Juni die absolute Mehrheit verlor, fügte sie sich nicht in ihr Schicksal, wurde stattdessen noch kompromissloser. Teile des Landes gleichen heute Kriegsgebieten. Der Wahlerfolg vom 1. November dürfte die AKP bestärkt haben: Wer Schwäche zeigt, verliert. Noch ein Charakterzug, den Erdoğan mit Putin gemeinsam hat. Aber wenn zwei aneinandergeraten, die keine Niederlagen hinnehmen können, wird es gefährlich.

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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