Russland und die Meinungsfreiheit:Freie Rede nur im Stillen

Amnesty International schlägt Alarm: Russische Behörden weisen kurz vor der Wahl den Inlandsgeheimdienst schon mal als schützenswerte soziale Gruppe aus. Eine neue Taktik Regierungskritiker mundtot zu machen.

Daniel Steinmaier, Berlin

Was passieren kann, wenn ein kleiner russischer Kulturverein zur Förderung von Minderheiten den russischen Inlandsgeheimdienst FSB kritisiert, haben die Vereinsmitglieder kürzlich deutlich zu spüren bekommen: Sie wurden angeklagt. Und zwar nach dem "Gesetz zur Bekämpfung extremistischer Aktivitäten", eine Art juristischer Allzweckwaffe gegen unliebsame Geister.

Russland und die Meinungsfreiheit: Übliches Verhalten gegenüber Regierungskritikern: Moskauer Polizisten führen Putin-Gegner ab.

Übliches Verhalten gegenüber Regierungskritikern: Moskauer Polizisten führen Putin-Gegner ab.

(Foto: Foto: AFP)

Darin steht, dass es verboten sei, ethnische oder soziale Gruppen zu diskriminieren. Um kritische Stimmen mundtot zu machen, haben die Ankläger den gefürchteten FSB offenbar kurzerhand zur sozialen Gruppe erklärt.

Die Kontaktfrau von Amnesty International (AI) in Moskau, Friederike Behr, hat das Beispiel heute in Berlin vorgetragen. Kurz vor der Russland-Wahl Anfang März will AI auf die verschärfte Lage der Meinungsfreiheit in dem Land hinweisen.

"Man kann in Russland zwar seine Meinung frei äußern", sagt Behr. Das Recht auf freie Meinungsäußerung sei aber "nicht garantiert". Es werde immer mehr eingeschränkt, berichtet sie.

Organisationen, die frei ihre Meinungen äußern, gehen große Risiken ein. So wurde etwa der Direktor einer tschetschenischen Organisation, die zwei regierungskritische Artikel veröffentlicht hatte, mit Hilfe des schon erwähnten Gesetzes zu vier Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Laut Amnesty haben es Journalisten in Russland zunehmend schwer. Auch gegen sie kann das Gesetz "gegen extremistische Aktivitäten" angewendet werden. Friederike Behr berichtet vom Fall eines lokalen Fernsehsenders, der aufgrund eines Wortspiels mit dem Namen Putin wegen Beleidigung verklagt wurde. "Uns erscheint das lächerlich", sagt Behr, "aber solche Klagen haben einen sehr großen einschüchternden Effekt".

Besonders der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja zeige, wie hoch das Risiko für kritische Berichterstatter in Russland sein kann. Bisher ist die Tat noch immer nicht aufgeklärt. Trotz angeblicher Fortschritte in den Ermittlungen. Behr sagt, der Regierung fehle es am "politischen Willen, die Auftraggeber des Mordes zu nennen".

Auch Demonstranten sind unerwünscht

Offenbar sind neben der Meinungsfreiheit auch andere Grundrechte in Gefahr. Etwa das der Demonstrationsfreiheit. Das belegen laut Behr die bei Demonstrationen inzwischen üblichen massiven Übergriffe der Polizei auf Protestierer und Journalisten.

Auch Versammlungsverbote würden über Gebühr ausgesprochen. Beispiel: Die Gay-Parade in Moskau. Zweimal wurde sie mit dem Argument verboten, die Bevölkerung störe sich daran, wenn Schwule und Lesben durch ihre Stadt zögen.

Für Behr kein stechendes Argument: "Das reicht nicht aus." Russland habe sich schließlich in internationalen Verträgen zur Achtung der Menschenrechte verpflichtet, sagt Behr. Und da gehöre das Recht auf Versammlungs-, auf Meinungsfreiheit und der Schutz der Minderheiten dazu.

Dass AI den Bericht zur Meinungsfreiheit in Russland jetzt vor den Wahlen präsentiere, sei kein Zufall. "Wir haben den Bericht jetzt vor den Wahlen veröffentlicht" sagt Behr, denn man erhoffe sich davon eine "Signalwirkung" für die russische Politik.

Auf den Wahlkampf wird der Bericht wohl kaum Einfluss haben. Friederike Behr sagt, von einem wirklichen Wahlkampf könne in Russland ohnehin "nicht die Rede sein". Putin-Kritiker hätten kaum eine Chance, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen.

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