Russland:Putin agiert aus einer Position der Stärke

Frankreichs Präsident Macron empfängt Kremlchef Putin

Im vergangenen Sommer empfing Frankreichs Präsident Macron mit seiner Frau Brigitte den russischen Amtskollegen Wladimir Putin (r).

(Foto: Gerard Julien/dpa)
  • Beim Ukraine-Gipfel in Paris wollen sich die Präsidenten von Russland und der Ukraine auf einen Fahrplan für die Zukunft der Ostukraine verständigen.
  • In dem Streit geht es um die russisch-ukrainische Grenze und Lokalwahlen in den von prorussischen Separatisten besetzten Gebieten.
  • Putin geht davon aus, dass sich die anderen Staaten viel dringender eine Lösung wünschen.

Von Silke Bigalke, Moskau

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte sich lange bitten lassen, bevor er dem Treffen in Paris zustimmte. Dabei hatte sich Gastgeber Emmanuel Macron über Monate bemüht, den roten Teppich auszurollen. Doch wenn Putin nun am 9. Dezember nach Paris reist, um im "Normandie-Format" über die Ostukraine zu sprechen, dann nicht wegen Macrons verständnisvoller Worte, sondern aus einem einzigen Grund: Es ist für ihn die beste Gelegenheit, seine Interessen durchzusetzen.

Schon vor dem Gipfel hatte Putin Bedingungen für ein Treffen gestellt. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sollte die Steinmeier-Formel bestätigen, die eine Art Fahrplan für eine Lösung des Konflikts festlegt und in Moskau anders interpretiert wird als in Kiew. In Paris möchte Putin Selenskij auf seine Auslegung festnageln: Demnach soll es zuerst Lokalwahlen in den von prorussischen Separatisten besetzen Gebieten in der Ostukraine geben. Erst danach will er über andere Dinge verhandeln, etwa die Kontrolle über die Ostgrenze zu Russland. Die hätte Selenskij aber gerne vor den Wahlen zurück.

Denn bisher ist unklar, wie in den umkämpften Gebieten sichere Abstimmungen ablaufen könnte. Und wie in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk, die militärisch und wirtschaftlich von Russland abhängen, ein fairer und freier Wahlkampf stattfinden soll. Deswegen ist die Grenzfrage für Kiew wichtig. Am Wahlabend soll laut Steinmeier-Formel ein Sonderstatus für die Volksrepubliken gelten, aber nur vorläufig. Erst wenn die Wahlbeobachtungsmission ODIHR die Abstimmung als insgesamt fair und frei bestätigt, sollen Donezk und Lugansk als autonome Regionen in die Ukraine integriert werden.

Kritiker sehen ein Hintertürchen für Moskau

Die Kontrolle über die Grenze werde Russland sicher nicht Kiew überlassen, sagt der russische Außenpolitik-Experte Wladimir Frolow: "Nur an Truppen der Donbass-Separatisten, gekleidet als lokale Miliz mit Ukraine Flagge an den Grenzposten" - also an Kräfte, die Moskau selbst beeinflusst. Wahlen könnten die jetzigen Machthaber legitimieren. Die Volksrepubliken würden als autonome Gebiete der Ukraine lediglich umfirmiert. Genau das befürchten Kritiker der Steinmeier-Formel: Dass sie Moskau ein Hintertürchen lässt, die Gebiete mit internationalen Segen unter russischer Kontrolle zu halten.

Auf seinem Weg nach Paris geht Putin davon aus, dass sich seine Verhandlungspartner aus der Ukraine, Frankreich und Deutschland dringender eine Lösung wünschen als er. Selenskij hatte den Frieden zum Wahlversprechen gemacht. Das Ziel von Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel bestehe darin, "egal welches, aber ein Abkommen zwischen Putin und Selenskij zu erreichen", analysiert Sergej Markow, Politikwissenschaftler und Ex-Duma-Abgeordneter vor dem Treffen.

Putin hat in Syrien gezeigt, wie er im Alleingang in Konflikte eingreift

Zwar haben Macron und Merkel stets betont, an den Sanktionen festzuhalten. Doch Macron ist Putin zuletzt entgegen gekommen, hatte ihn vor dem G-7-Gipfel im August auf seiner Ferienresidenz empfangen und ein Umdenken in den Beziehungen zu Russland gefordert. In einem Interview mit dem Economist äußerte er viel Verständnis für Putins Lage. Für diesen, sagt Macron im Interview, sei der Deal von 1990 nicht respektiert worden, es habe keine "Sicherheitszone" gegeben. "Sie haben versucht bis zur Ukraine zu gehen, und er wollte dem ein Ende setzen." Mit "sie" meint Macron die EU, die Russland als Trojanisches Pferd der Nato betrachte.

Im Interview zeigt Macron, dass er bereit ist, Putins Sicht der Dinge nachzuvollziehen. Und Putin hoffe nun, dass er Selenskij mit Hilfe Macrons in einen schlechten Deal für die Ukraine zwingen kann, sagt Experte Frolow. Oder, falls Selenskij nicht darauf eingeht, ihm die Schuld daran zu geben, dass das Minsker Abkommen nicht erfüllt wird. Dann könnte Putin argumentieren, Sanktionen seien nicht mehr gerechtfertigt.

Insofern haben Macrons Bemühungen Putin vielleicht doch nach Paris gelockt. "Putin und Macron brauchen einander", schrieb etwa Andrej Kortunow, Direktor des russischen Rats für internationale Angelegenheiten, vor dem Treffen im August. "Wladimir Putin hat heute keinen passenderen Gesprächspartner in Europa als den französischen Präsidenten."

Im Kreml gibt es Kräfte, die sich gegen jeden europäischen Einfluss sträuben

Auch über dessen Befund, die Nato sei "hirntot", hat man sich in Moskau sicher gefreut. Ob das Bündnis "tot oder lebendig" sei, könne man in Russland nicht entscheiden, witzelte Putin-Sprecher Dmitrij Peskow. "Wir sind keine Pathologen." Macrons These, dass Putin keine bessere Alternative habe als eine Partnerschaft mit Europa, wird man in Moskau anders sehen. Tatsächlich hat Putin in Syrien gezeigt, wie viele Möglichkeiten er hat, im Alleingang in Konflikte einzugreifen.

Russland sehe sich heute nicht mehr als Europas östlichsten Punkt, schreibt Dmitrij Trenin vom Moskauer Carnegie Center. Sondern als "große und unabhängige geopolitische und strategische Einheit auf globalem Level." Dass Putin der EU so entgegen kommt, wie Macron es hofft, ist unwahrscheinlich. Es gibt genügend Kräfte im Kreml, die jeden europäischen Einfluss fernhalten wollen. Gleichzeitig drängen wirtschaftliche Kräfte auf eine Normalisierung der Beziehungen. Auch deswegen fährt Putin nach Paris, hat er Gefangene mit der Ukraine ausgetauscht, beschlagnahmte Kriegsschiffe zurückgeben, den Teilrückzug prorussischer Truppen ermöglicht. Putin hat nichts dagegen, die Beziehungen zu Europa zu verbessern, solang er es zu seinen Bedingungen tun kann.

Zur SZ-Startseite
Krieg in Syrien: Syrische Truppen mit russischer Flagge

MeinungSyrien
:Nichts geht mehr ohne Russland

Erdoğan und Putin haben die Nachkriegsordnung für Syrien festgelegt - und damit die Machtverhältnisse im Nahen Osten neu sortiert. Die USA und die Europäer stehen wie die Ritter von der traurigen Gestalt daneben.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: