„Fast 4000 sowjetische und nahezu 3000 deutsche Panzer und Sturmgeschütze waren in diese riesige Schlacht einbezogen, die Stunde um Stunde tobte, Gefallene und Sterbende zu Bergen türmte, Klumpen brennender und kampfunfähiger Panzer verstreute, Mannschaftstransporter und Lastwagen zerschmetterte und dicke Rauchsäulen über der Steppe aufsteigen ließ.“ So, in beklemmender Eindringlichkeit, beschrieb der britische Historiker John Erikson die Schlacht bei Kursk 1943, die letzte große Offensive der deutschen Wehrmacht an der Ostfront.
Das Kriegsgeschehen trug sich in denselben Räumen zu, die heute die Schlagzeilen beherrschen – das Gebiet vor der russischen Großstadt Kursk, in das die ukrainischen Soldaten vorgedrungen sind, der Donbass und das ukrainische Charkiw, wo der russische Druck weiterhin groß bleibt.
Für Putin ist die Offensive der Ukrainer eine Blamage
Für den russischen Kriegsherrn Wladimir Putin ist die Offensive der Ukrainer Richtung Kursk einerseits eine Blamage: Nicht nur sind hier feindliche Truppen erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg auf das Territorium vorgedrungen, sie tun dies auch an einem symbolbeladenen Ort – dem eines monumentalen Sieges über die Heere des faschistischen Deutschlands. Der Erfolg von Kursk 1943 ist schon seit Stalin ein nationaler Mythos.
Andererseits bieten die Kämpfe westlich von Kursk trotz der schwachen Vorstellung seiner Truppen Putin Anlass für viel Propaganda. Damals wie heute griffen Faschisten bei Kursk an, tönt es in den Staatsmedien, und nicht anders als 1943 werde es ihnen jetzt ergehen. Damals freilich setzte sich die Rote Armee, setzten sich darin Russen wie Ukrainer und andere Sowjetvölker gegen einen Angriffskrieg zur Wehr. Jetzt ist es Russland, das sein Nachbarland überfallen und einmal mehr unerwartete Folgen dieses Völkerrechtsbruchs auszuhalten hat.
Die Deutschen wollten die russischen Soldaten einkesseln
Vor 81 Jahren entwickelte sich der Krieg aus Sicht der deutschen Führung immer schlechter. Die Briten hatten den Vormarsch des Afrikakorps bei El Alamein gestoppt und zusammen mit US-Verbänden die Deutschen im Mai 1943 aus Nordafrika vertrieben, Zehntausende Wehrmachtssoldaten gingen in Gefangenschaft.
Noch gravierender hatte sich der Untergang der 6. Armee in Stalingrad im Februar 1943 ausgewirkt, die große Wende an der Ostfront. Danach hatte Stalin seine erschöpften Armeen Richtung Westen befohlen, vorschnell, wie sich zeigen sollte, als der deutsche Generalfeldmarschall Erich von Manstein sie bei Charkiw stoppte und zurückwarf. Für den Augenblick herrschte ein Patt.
Hitler und das Oberkommando der Wehrmacht setzten nun alles auf eine Karte. Beim weit nach Westen ragenden Frontbogen von Kursk sollten die deutschen Soldaten die Rote Armee umfassen, einkesseln und vernichten. Das Unternehmen, genannt „Zitadelle“, war außerordentlich riskant, denn anders als 1941 beim Unternehmen „Barbarossa“, dem Beginn des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion, stand die Wehrmacht diesmal keinem unvorbereiteten und völlig überraschten Gegner gegenüber.
Auf das deutsche Unternehmen „Zitadelle“ war die Rote Armee vorbereitet
In zwei Jahren mörderischer Schlachten hatte die Rote Armee viel gelernt, sie war nun, dank der Kriegsproduktion in den für deutsche Bomber unerreichbaren Weiten des Landes und massiver Waffenlieferungen der Westalliierten materiell und an Soldaten überlegen. Ihre Führung wagte es sogar, Stalin zu widersprechen – dessen starre Überzeugung, die Deutschen würden niemals angreifen, die Katastrophe von 1941 mitverschuldet hatte. Der Diktator im Kreml forderte eine neue Offensive, aber Marschall Georgi Schukow gelang es, ihn vom Nutzen einer gut vorbereiteten Verteidigung zu überzeugen: Der deutsche Angriff würde sich erschöpfen, und dann wäre die Zeit für den großen Gegenschlag. Und der Plan ging auf.
Die Wehrmacht mobilisierte noch einmal alle Kräfte, die nicht unbedingt in Italien oder zur Abwehr der alliierten Bomberoffensive gebraucht wurden, und zog eine furchterregende Streitmacht zusammen. Um möglichst viele ihrer modernsten neuen Panzer einzusetzen, den Panther und den monströsen Tiger, zögerten sie die Offensive sogar Wochen hinaus – Zeit, die Schukow zu nutzen verstand. Die Rote Armee befestigte das Kampfgebiet mit Minen, Panzergräben, Bunkerstellungen, nicht unähnlich den heutigen Stellungen im Donbass.
Am 4. Juli rollten die deutschen Panzer los, die Tiger als Stoßkeil an den Spitzen. Die meisten Granaten prallten an ihnen ab, der Angriff gewann an Momentum. Die Luftwaffe fügte den sowjetischen Staffeln schwere Verluste zu. Zu den Piloten gehörte auch Erich Hartmann, der bald als Jagdflieger-„Ass“ zum blonden Helden der Nazipropaganda werden sollte, er soll an einem Tag gleich sieben gegnerische Maschinen abgeschossen haben. Es ist eine bittere Pointe, dass ein dann hastig zurückgezogener und törichter Entwurf aus dem Bundesverteidigungsministerium auch Hartmann kürzlich zu jenen Soldaten zählen wollte, welche die Traditionspflege durch die Bundeswehr verdient hätten.
Die Schlacht war eine der brutalsten im Zweiten Weltkrieg
Die Schlacht um Kursk gehörte zu den brutalsten des Krieges, die Verluste auf beiden Seiten waren entsetzlich. Gekämpft wurde auf engstem Raum. Überlebende berichten vom Grauen ungezählter Verwundeter, den von Panzern zermalmten Leichen, Fliegenschwärmen auf den Toten, der brennenden Sonne und Staub und Qualm, welche die Sicht unmöglich machten.
„Ich schnappte nach Luft, der Schweiß rann mir übers Gesicht. Wir rechneten jede Sekunde mit dem Tod“, berichtete ein Panzerfahrer der Roten Armee, der überlebte. Aber die Deutschen kamen nicht durch, die Rotarmisten stoppten sie, unter furchtbaren Verlusten, die später in der UdSSR niemals beziffert werden durften. Sie sollen mindestens fünfmal höher als die deutschen gewesen sein. Aber Mitte Juli war deren Offensive gescheitert, am 28. August befreiten die Sowjets Charkiw.
Der Krieg in Europa dauerte noch bis Mai 1945. Aber nach Kursk war sicher, dass ihn die Wehrmacht, die den Brand entzündet hatte, nicht mehr gewinnen würde. Das Feuer schlug nun immer mehr dorthin zurück, von wo es ausgegangen war.