Süddeutsche Zeitung

Krieg in der Ukraine:Moskau und Kiew tauschen Gefangene aus

  • Russland und die Ukraine wollen je 35 Gefangene austauschen.
  • Darunter ist auch Wladimir Zemach, Zeuge des Abschusses des malaysischen Passagierfluges MH-17 durch eine russische Einheit.
  • Um den Konflikt mit Moskau zu beenden, rechnet Kiew mit damit, "einige schmerzhafte Kompromisse eingehen" zu müssen. Dazu könnte die faktische Autonomie der Ostukraine gehören.

Von Florian Hassel, Warschau

Russland und die Ukraine stehen vor dem größten Gefangenenaustausch seit Kriegsbeginn in der Ostukraine 2014. Präsident Wladimir Putin und ukrainische Offizielle bestätigten, dass ein umfangreicher Austausch bevorstehe - möglicherweise bereits an diesem Samstag. Übereinstimmenden Meldungen zufolge will Moskau der Ukraine neben weiteren Gefangenen den Regisseur Oleg Sensow und 24 Seeleute übergeben, die Russland bei einem Angriff auf ukrainische Marineboote vor der Meerenge von Kertsch am 25. November 2018 festnahm. Insgesamt sollen je 35 Gefangene ausgetauscht werden, sagte die Sprecherin des ukrainischen Generalstaatsanwalts in Übereinstimmung mit Russlands Justizminister Alexander Konowalow.

Russland soll seinerseits Soldaten oder Geheimdienstoffiziere oder Rebellenkommandeure bekommen, die in der Ostukraine kämpften. Am wichtigsten aus Kremlsicht ist die Übergabe von Wladimir Zemach - in der Ostukraine lange Kommandeur einer Flugabwehreinheit. Der Investigativgruppe Bellingcat zufolge war Zemach am 17. Juli 2014 auf rebellenkontrolliertem Gebiet beim Dorf Schnischne Zeuge des Abschusses des malaysischen Passagierfluges MH-17 durch eine russische Einheit. Zemach half nach eigener Aussage, das russische Buk-Raketensystem zurück nach Russland zu schaffen.

Zemach wurde am 27. Juni vom ukrainischen Geheimdienst aus Schnischne entführt, nach Kiew gebracht und wegen Terrorismus angeklagt. Er wäre auch in einem in den Niederlanden anstehenden Prozess gegen bisher vier angeklagte Russen ein wichtiger Zeuge oder gar weiterer Angeklagter. Dem NRC Handelsblad zufolge bat der niederländische Generalstaatsanwalt Fred Westerbake die Ukraine, Zemach nicht an Russland zu übergeben. Doch Präsident Putin soll auf der Übergabe Zemachs bestanden haben, berichteten der ukrainische Ex-Parlamentarier Mustafa Nayyem und weitere Politiker. Moskau bestreitet seine Verantwortung für den Abschuss von Flug MH-17, bei dem 298 Menschen starben.

Selenskij will ein Treffen mit Putin, Merkel und Macron

Der geplante Austausch wurde laut Präsident Wolodimir Selenskij von ihm selbst eingeleitet. Er habe gesehen, dass Russland sich geweigert habe, ein Urteil des Internationalen Seegerichtshofes vom 25. Mai umzusetzen und die 24 rechtswidrig gefangen genommenen Seeleute freizulassen. Daraufhin habe er zwei Mal mit Putin telefoniert und über einen möglichen Austausch sowie über den Krieg in der Ostukraine und die weiteren Beziehungen gesprochen, sagte Selenskij am 30. August im ukrainischen Fernsehen. Putin bestätigte am 5. September auf einem Wirtschaftsforum in Wladiwostok, dass die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss stünden und ein Austausch bevorstehe. Dieser wäre "ein guter Schritt nach vorne, in Richtung einer Normalisierung" der russisch-ukrainischen Beziehungen. Selenskij hatte als Präsidentschaftskandidat die Beendigung des Krieges und bessere Beziehungen zu Moskau versprochen.

Ukraines Präsident will sich mit Putin im Normandie-Format treffen - also unter Beteiligung von Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. "Ich denke, dass wir uns nur, wenn wir uns in die Augen sehen, und dies in Anwesenheit westlicher Führer, einigen und (eine Einigung) unterschreiben können - das ist das Wichtigste", sagte Selenskij über seine Telefonate mit Putin.

Faktische Autonomie für die Ostukraine?

Der ukrainische Präsident telefonierte bereits vier Mal mit Merkel, drei Mal mit Macron. Am 2. September trafen sich Diplomaten aus Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland in Berlin zur Vorbereitung eines möglichen Treffens im Normandie-Format. Ein Termin steht nach SZ-Informationen noch nicht fest. Ukraines Außenminister Wadim Pristaiko zufolge müsse Kiew "einige schmerzhafte Kompromisse eingehen", um den Konflikt zu beenden.

Diese könnte etwa die Zustimmung zu faktischer Autonomie für die Ostukraine oder zu Wahlen bedeuten, die Moskaus Kontrolle festschreiben. Vor Ort ist indes von Entspannung noch nichts zu sehen. Der ukrainischen Armee zufolge beschossen Rebelleneinheiten allein am Donnerstag ukrainische Positionen an 13 Stellen der "Kontaktzone", der faktischen Frontlinie zu den von Moskau-treuen Rebellen kontrollierten Gebieten um Donezk und Lugansk. Ein Soldat starb - der bereits 73. getötete ukrainische Armeeanhörige in diesem Jahr.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2019/saul
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