Militärische Lage im Ukraine-Krieg:Russland provoziert mit Hyperschallwaffen

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Ein Mikoyan MiG-31 Abfangjäger der russischen Luftwaffe beladen mit einer ballistischen Hyperschallrakete vom Typ Kinshal. (Archivbild) (Foto: Pavel Golovkin/dpa)

Moskau will neuartige Raketen gegen die Ukraine eingesetzt haben. Experten hegen Zweifel, sehen in der Verlautbarung jedoch eine neue Drohung.

Von Nicolas Freund

Das russische Militär will im Krieg in der Ukraine Hyperschallraketen eingesetzt haben, um ein Treibstofflager und einen Stützpunkt der ukrainischen Armee zu zerstören. Entsprechende Angaben machte ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums in Moskau. Beobachter hielten mit dem Einsatz der Raketen eine neue Eskalationsstufe im Krieg für erreicht. Allerdings gibt es Zweifel an der russischen Darstellung.

Die angeblich eingesetzten Raketen vom Typ Kinschal (Dolch) werden von einem Kampfflugzeug aus abgeschossen, können sehr hohe Geschwindigkeiten von 6000 Kilometern pro Stunde erreichen und haben nach russischen Angaben eine Reichweite von bis zu 2000 Kilometern. Wegen der hohen Geschwindigkeiten und weil diese Art von Raketen keine ballistische Flugbahn hat, sind sie von Abwehrsystemen nur sehr schwer zu kontern. Außerdem können sie aus großer Entfernung, zum Beispiel aus einem sicheren Luftraum heraus, gestartet werden. Der Name Hyperschallrakete ist dabei irreführend, weil die meisten Raketen und Marschflugkörper schneller als Schallgeschwindigkeit fliegen.

Kinschals sollen bisher nur bei Manövern und möglicherweise im Syrien-Konflikt zum Einsatz gekommen sein. Der Einsatz dieser Waffen in der Ukraine wurde nicht unabhängig bestätigt. Möglicherweise ist auch nur ein konventioneller Marschflugkörper, wie sie Russland in dem Konflikt zu Hunderten einsetzt, von einem Flugzeug aus abgefeuert worden.

Strategisch ergäbe der Einsatz einer solchen speziellen Rakete gegen die genannten Ziele auch nur bedingt Sinn, vor allem da Russland wohl nur über ein vergleichsweise kleines Arsenal dieser Waffen verfügt. Unabhängig davon, ob Kinschal-Raketen zum Einsatz gekommen sind oder nicht, wird die Behauptung aber als weitere Drohung an die ukrainische Regierung und den Westen verstanden: Russland sei bereit, modernere Waffensysteme wie diese Flugkörper, die sich auch mit Atomsprengköpfen bestücken lassen, in dem Konflikt einzusetzen.

Die Hauptstadt Kiew steht weiter unter Beschuss durch Luftangriffe. Einwohner der Stadt vor einem zerstörten Wohnhaus im Viertel Podil. (Foto: Matthew Hatcher/dpa)

Auch am Wochenende wurden wieder schwere Kämpfe und Bombardements in der Ukraine gemeldet. Noch immer sind Tausende Menschen ohne Strom, Wasser, Nahrung und medizinische Versorgung in der Stadt Mariupol eingekesselt. Unklar ist die Lage nach der Zerstörung eines Theaters im Zentrum der Hafenstadt, in dessen Luftschutzkeller wohl mehr als 1000 Menschen Zuflucht gesucht hatten. Viele sollen den Angriff überlebt haben, sind nun aber unter den Trümmern eingeschlossen. Die russischen Angriffe verhindern Rettungsmaßnahmen. Unbestätigten Berichten des Stadtrats von Mariupol zufolge, sollen auch mehrere tausend Einwohner der Stadt gewaltsam nach Russland verschleppt worden sein. Moskau behauptet, es seien Menschen aus den umkämpften Gebieten evakuiert worden. Der stellvertretende Kommandeur der russischen Schwarzmeer-Flotte wurde bei Kämpfen in Mariupol getötet.

Etwas Hoffnung machte am Sonntag der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Der Zeitung Hürriyet sagte er, bei den Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland gebe es bei einigen Themen fast eine Einigung; er hoffe auf eine baldige Waffenruhe. Von Fortschritten bei den Friedensverhandlungen wird allerdings seit Tagen immer wieder berichtet - bisher ohne konkrete Ergebnisse.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij teilte unterdessen mit, alle ukrainischen TV-Sender zusammenlegen zu wollen, um eine einheitliche Informationspolitik zu gewährleisten. Russische Streitkräfte hatten immer wieder versucht, die mediale Infrastruktur in der Ukraine auszuschalten. Wie nicht nur die Behauptungen Russlands zum Einsatz der Hyperschallraketen zeigen, sind auch Informationen und ihre Verbreitung zu einer wichtigen Waffe in dem Konflikt geworden.

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