Russland:Angeblicher Drohnenangriff auf den Kreml

Russland: Die Echtheit dieses Bildes ist nicht zu überprüfen: Es soll ein Flugobjekt über dem Kreml zeigen zur Zeit des angeblichen Drohnenangriffs

Die Echtheit dieses Bildes ist nicht zu überprüfen: Es soll ein Flugobjekt über dem Kreml zeigen zur Zeit des angeblichen Drohnenangriffs

(Foto: Ostorozhno Novosti/Reuters)

Russland behauptet, die Ukraine habe einen Anschlag auf Präsident Wladimir Putin versucht. Kiew dementiert entschieden. Die Sorge vor einer neuen Eskalationsstufe im Krieg wächst.

Von Stefan Kornelius und Frank Nienhuysen

Kurz vor einer erwarteten ukrainischen Gegenoffensive hat Russland nach eigenen Angaben einen Drohnenangriff auf den Kreml abgewehrt. Demnach habe "das Kiewer Regime" in der Nacht zum Mittwoch zwei unbemannte Drohnen auf die Kreml-Residenz des russischen Präsidenten gelenkt. Die Drohnen seien abgefangen worden, es habe durch die Trümmer keine Verletzten und auch keine sonstigen Schäden gegeben, erklärte der Pressedienst des Kreml. Präsident Wladimir Putin habe sich zu diesem Zeitpunkt nicht im Kreml aufgehalten, er sei unverletzt und arbeite normal weiter. Der Kreml sprach von einer "geplanten terroristischen Aktion" kurz vor dem "Tag des Sieges", der in Russland mit einer Parade am 9. Mai begangen wird.

Die Ukraine wies die Anschuldigungen zurück. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sagte, Moskau habe sich einen angeblichen Angriff durch die Ukraine ausgedacht, um seine Soldaten für den Krieg zu motivieren. "Wir greifen weder Putin noch Moskau an, wir kämpfen auf dem eigenen Territorium und verteidigen unsere Dörfer und Städte", sagte der 45-Jährige am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in der finnischen Hauptstadt Helsinki.

In Moskau sagte Präsidentensprecher Dmitrij Peskow, dass Putin am Dienstag in Sankt Petersburg gearbeitet habe, am Mittwoch in seiner Residenz in Nowo-Ogarjowo, wo er einen russischen Gouverneur getroffen habe. Nowo-Ogarjowo liegt in einem Waldgebiet am Rande Moskaus, wenige Dutzend Kilometer von der historischen Kremlfestung entfernt. Die Maiparade in der nächsten Woche soll nach Aussagen Peskows trotz des "Zwischenfalls" wie geplant stattfinden. Im Vergleich zu früheren Jahren wird der Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland diesmal weniger umfangreich begangen. So wurde der Gedenkmarsch "Unsterbliches Regiment", bei dem Porträts von Angehörigen gezeigt werden, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben, abgesagt, offenbar aus Sicherheitsgründen.

Russland: Eine Aufnahme von dem angeblichen Abschuss der Drohne über dem Kreml.

Eine Aufnahme von dem angeblichen Abschuss der Drohne über dem Kreml.

(Foto: Ostorozhno Novosti/Reuters)

In russischen sozialen Medien wurden mehrere nur wenige Sekunden lange, ungeprüfte Videosequenzen gezeigt, auf denen die Drohnen sowie eine Explosion samt Rauchwolke über dem Senatspalast zu sehen sein sollen. Die russische Zeitung Moskowskij Komsomolez berichtete, dass vor der Explosion zwei Menschen zu sehen gewesen seien, die auf das Dach des Senatspalastes geklettert seien. Der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin kündigte ein Verbot für unbemannte Drohnen in der russischen Hauptstadt an.

Der Bericht des Kreml über abgefangene Drohnen im Machtzentrum Russlands dürfte die ohnehin gewaltigen Spannungen weiter verschärfen. Seit Wochen laufen in der Ukraine Vorbereitungen für eine geplante Gegenoffensive. Doch wo genau und, mit Blick auf die schwierigen Wetterverhältnisse, auch wann Kiew beginnen wird, ist unklar. Nach Aussage des Chefs der russischen Wagner-Truppe, Jewgenij Prigoschin, hat die Offensive bereits begonnen.

Der vermeintliche Drohnenangriff löste bei Beobachtern höchste Besorgnis aus, weil er ungeachtet der Urheberschaft dem Kreml einen Vorwand für eine neue Eskalationsstufe im Krieg gegen die Ukraine liefern könnte. Der Sprecher des russischen Unterhauses, Wjatscheslaw Wolodin, forderte bereits den Einsatz von Waffen, "die in der Lage sind, das terroristische Regime in Kiew zu stoppen und zu zerstören". Die Formulierung lässt vermuten, dass Wolodin auch den Beschuss mit einer Nuklearwaffe ins Spiel bringt.

Gleichwohl gibt es keine Belege für die Urheberschaft der Explosion. Denkbar ist, dass die Ukraine oder unkontrolliert agierende Freiwilligeneinheiten der Ukraine einen unbemannten Flugkörper nach Russland geschickt haben. Die ukrainischen Streitkräfte haben sich in den vergangenen Monaten verstärkt mit Drohnen unterschiedlicher Bauart ausgerüstet. Angeblich wurden Flugkörper bereits über Sankt Petersburg entdeckt. Im Dezember fingen russische Einheiten Drohnen im Anflug auf den Engels-Flugplatz in der Region Saratow, 600 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, ab. Dort sind strategische Bomber der russischen Luftwaffe stationiert. Allerdings wäre es verwunderlich, wenn eine Drohne bis über den Kreml vorgedrungen wäre, der als das wohl bestgeschützte Gebäude Russlands gelten kann.

Denkbar wäre auch ein inszenierter Angriff, um der russischen Seite einen Vorwand für eine massive Eskalation im Krieg zu bieten. Belege für diese Variante gibt es aber ebenfalls nicht. Fraglich ist auch, ob die Flugbewegung niedrig fliegender Drohnen von Satelliten oder Luftüberwachungssystemen der Nato aufgezeichnet werden kann.

Westliche Geheimdienste und die mit der Ukraine verbündeten Regierungen hatten Kiew immer wieder vor einer zu heftigen Provokation gewarnt. Vor allem nach dem Bombenanschlag auf die Krim-Brücke bei Kertsch oder das Attentat auf die Tochter des Rechtsideologen Alexander Dugin war die Sorge groß, dass Russland die Provokationen für eine unkontrollierte Eskalation nutzen könnte.

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