Russland:Rätselraten um den Neuen

Der Komiker Wolodymyr Selensky ist gewählt - und Moskau fragt sich, was das für die Beziehung zwischen Russland und der Ukraine bedeutet. Der Kreml stellt sich darauf ein, dass der Konflikt bestehen bleibt.

Von Silke Bigalke, Moskau

Die erste offizielle Reaktion aus dem Kreml kam von Dmitrij Medwedjew. Es gäbe immer noch "eine Chance für die Ukraine, ihre Beziehungen zu Russland zu verbessern", schrieb der russische Ministerpräsident am Montag auf seiner Facebook-Seite. "Was dafür nötig ist? Ehrlichkeit, genauso wie eine pragmatische und verantwortungsvolle Herangehensweise" an die Probleme in der Ukraine, "vor allem im Osten des Landes," schrieb Medwedjew mit Blick auf den Krieg im Donbass. Sein Rat richtete sich an Wolodymyr Selensky, den nächsten ukrainischen Präsidenten. Eine Gratulation an den Wahlsieger fehlte. Der russische Premier vermied es sogar, dessen Namen zu nennen.

Die Regierung in Moskau dürfte Selenskys Präsidentschaft mit gemischten Gefühlen entgegensehen. Zwar könnten sich die Beziehungen zu Kiew verbessern, wenn Petro Poroschenko das Amt verlässt. Noch vergangene Woche hatte Kremlsprecher Dmitrij Peskow erklärt, man hoffe vor allem darauf, dass die Ukrainer einen Präsidenten wählen, "der nicht zur Partei des Krieges gehört", also jeden außer Poroschenko. Der hatte Selensky stets als zu schwach dargestellt, um Moskaus Einfluss zu widerstehen. Noch am Wahltag schrieb Poroschenko, der Wahlausgang würde sicher im Kreml gefeiert. Doch wenn man dort etwas feierte, dann wohl eher Poroschenkos Niederlage.

Wunsch nach Veränderung

Denn dass Wolodymyr Selensky nicht für einen Politikwechsel steht, weiß man auch in Moskau. Der 41-Jährige hat genauso wie Poroschenko erklärt, dass er eine Mitgliedschaft in der EU und der Nato anstrebt, er hat Präsident Wladimir Putin im Wahlkampf als Feind bezeichnet. Die Moskauer Politiker werden nun ein ähnliches Problem mit ihm haben wie die in den westlichen Nachbarländern der Ukraine: Sie wissen zu wenig über seine politische Agenda. Die Wahl spreche für den "Wunsch der Bürger der Ukraine, etwas zu ändern", stellte der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin beinahe hilflos fest. "Und was konkret, das ist im Moment mehr als schwer zu sagen." Poroschenko konnten sie in Moskau leichter einschätzen. Zumindest gab er ein klares Feindbild ab, das Putins außenpolitischen Zielen nutzte. Bei Selensky dürfte das schwieriger werden.

Zudem steht der Politikneuling für den Protest gegen das Establishment, ein unbequemer Gedanke für die russische Regierung. "An alle Bürger ehemaliger Sowjetstaaten: Schaut uns an", sagte Selensky in seiner Siegesrede. "Alles ist möglich."

Putin ließ noch nicht gratulieren

Die Idee freier Wahlen mit offenem Ausgang in der Ukraine, bei denen ein Schauspieler gewinnen kann, ist im russischen Staatsfernsehen von Anfang an lächerlich gemacht worden. "Wann und womit endet dieser Zirkus?", fragte der dem Kreml nahestehende Moderator Dmitri Kisseljow, als in Kiew gerade die Wahllokale schlossen. Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny dagegen gratulierte allen Ukrainern zu freien Wahlen, "ein seltenes Ding auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR".

Es sei zu früh für Gratulationen, ließ dagegen der Sprecher des russischen Präsident Putin ausrichten. Man könne Selensky nur nach seinen Taten beurteilen. Zudem stehe die Legitimität der Wahl noch in Frage. Selenskys Vorgänger Poroschenko hatte Putin 2014 überhaupt nicht gratuliert.

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