Süddeutsche Zeitung

Türkei und Russland:Mal Freund, mal Feind

Lesezeit: 4 min

Putin und Erdoğan ringen in Syrien und Libyen um Einfluss. Dabei schrecken sie vor illegalen Militäraktionen nicht zurück - und treffen gleichzeitig Verabredungen.

Von Silke Bigalke und Paul-Anton Krüger

Das Video ist wackelig und verschwommen, doch lässt sich darauf ein MiG-29-Kampfjet erkennen. Laut dem US-Militär, das die Aufnahme veröffentlicht hat, zeigt es ein russisches Flugzeug auf dem Weg nach Libyen. Satellitenbilder bestätigen, dass auf dem Luftwaffenstützpunkt al-Jufrah im Zentrum des nordafrikanischen Bürgerkriegslandes 14 Maschinen eingetroffen sind, auch Jagdbomber des Typs Su-24. Sie sollen auf dem von Russland betriebenen Militärflugplatz Khmeimim in Syrien umlackiert worden sein - die russischen Hoheitszeichen sind nicht mehr zu erkennen.

Die Verlegung der Flugzeuge ist eine der vielen Rochaden im Ringen um Einfluss im östlichen Mittelmeer. Gegenspieler und zugleich Partner des russischen Staatschefs Wladimir Putin ist dabei der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan - in Libyen wie in Syrien, wo türkische Truppen in der Provinz Idlib gegen das von Moskau unterstützte Assad-Regime stehen. Während Putin sein Land seit 2015 zur militärisch dominierenden Macht in Syrien gemacht hat, versucht nun Erdoğan, seinen Einfluss in Libyen zu festigen.

Nachdem er im November 2019 der international anerkannten Einheitsregierung in Tripolis unter Premier Fayez al-Serraj in einem nur von den beiden Ländern akzeptierten Abkommen weitgehende Gebietsansprüche im Mittelmeer abverhandelt hatte, schickte Erdoğan Fregatten mit Luftabwehr an Bord vor Libyens Küste, in Tripolis ließ er gepanzerte Fahrzeuge und Kampfdrohnen anlanden, türkische Offiziere als Militärberater und Tausende Milizionäre islamistischer Gruppen aus Syrien. Binnen weniger Monate hat Erdoğan so in Libyen das militärische Gleichgewicht zugunsten der Milizen gewendet, die loyal zu Serraj stehen.

Schon zu Zeiten der Zaren konkurrierte Russland mit dem Osmanischen Reich

Dabei hatte es lange so ausgesehen, als könne der abtrünnige General Khalifa Haftar mit seiner im April 2019 gestarteten Offensive die Hauptstadt einnehmen - vor allem dank gut ausgebildeter russischer Söldner des eng mit dem Kreml verbundenen Militärdienstleisters Gruppe Wagner. In den vergangenen Wochen aber hat Haftar alle eroberten Gebiete im Westen Libyens wieder verloren; die Russen wurden in den weiterhin von Haftar kontrollierten Osten ausgeflogen. Die Vereinten Nationen versuchen nun, den Friedensprozess in Gang zu bringen. Vor allem aber stecken Moskau und Ankara Einflussgebiete ab.

Schon zu Zeiten des Zarenreichs konkurrierte Russland mit dem Osmanischen Reich um Einfluss und Kontrolle im Schwarzen Meer, der Ägäis und im Mittelmeer. Nach dem Ersten Weltkrieg ausgegrenzt von den Westmächten, fanden Moskau und Ankara zu einem Modus Vivendi, legten Territorialstreitigkeiten bei, verstärkten den Handel.

Am Sonntag sollten Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Außenminister Sergej Lawrow nach Istanbul reisen, um ihre türkischen Kollegen Hulusi Akar und Mevlüt Çavuşoğlu zu treffen; am Mittwoch hatten Putin und Erdoğan telefoniert. Am Nachmittag kam dann überraschend die Absage. Zu groß sind offenbar noch die Meinungsverschiedenheiten. Das Treffen solle nachgeholt werden, hieß es aus Ankara, hohe Diplomaten, die bereits angereist waren, verhandelten weiter. Und das Außenministerium in Moskau teilte nach einem Telefonat Lawrows mit Çavuşoğlu mit, beide Seiten arbeiteten aktiv an einer Lösung.

Europäische Diplomaten sprechen von einer "Astanisierung Libyens". In Kasachstans Hauptstadt Astana (2019 umbenannt in Nur-Sultan) hatten sich Russen, Türken und Iraner wiederholt getroffen, um Syriens Schicksal unter sich auszumachen. UN-Resolutionen bildeten zwar noch den formellen Bezugsrahmen, echten Einfluss hatten aber weder die UN noch die USA oder Europa. Ähnlich ist das nun mit Libyen, nur dass auch die lange dominierenden Regionalmächte Vereinigte Arabische Emirate und Ägypten ins Hintertreffen geraten. Das UN-Waffenembargo schert weder Moskau noch Ankara; türkische Kriegsschiffe verhinderten sogar die Kontrolle eines Frachters durch die EU-Mission "Irini", die das Embargo im Auftrag des UN-Sicherheitsrates überwachen soll. In Syrien hat der Astana-Prozess aber weder zu Frieden geführt noch zu einem stabilen Endstatus, eher zu einer fragilen Balance russischer und türkischer Interessen. Ähnliches könnte Libyen bevorstehen.

Syrien betreffend hat Putin sein Verteidigungsministerium beauftragt, mit Assad über die Erweiterung der russischen Stützpunkte zu verhandeln. Bereits Ende 2019 wurde bekannt, dass der Kreml umgerechnet 500 Millionen Dollar in Tartus investieren möchte - Russlands einzigen Flottenstützpunkt außerhalb des Gebiets der ehemaligen Sowjetunion.

2018 schon hatte Putin mehr als 20 Kriegsschiffe für ein Manöver ins Mittelmeer geschickt - eine Demonstration der neu erkämpften Macht. Nun soll der Hafen Tartus' vergrößert und vertieft werden. Durch ihn sitzt die russische Marine auf beiden Seiten des Bosporus. Auf diesen Zugang vom Schwarzen Meer zum Mittelmeer konzentrierten sich seit 300 Jahren Moskaus Machtinteressen in der Region, sagt der russische Militärexperte Pawel Felgenhauer. Die Präsenz im Mittelmeer sei eine Erklärung dafür, warum Putin weiterhin am teuren und in Russland unbeliebten Syrien-Einsatz festhält.

In Libyen hat Putin mit den Kampfjets in Jufrah ebenfalls einen Fuß in der Tür, auch wenn der Kreml ein militärisches Engagement offiziell leugnet. "Man schickt Jets, man schickt pensioniere Piloten, die in dem Moment in Ruhestand gegangen sind, als sie in Syrien ankamen", vermutet der russische Militärexperte Alexander Golts. In Sirte haben Wagner-Söldner einen weiteren Stützpunkt übernommen. Jüngst waren Flüge russischer Transportmaschinen in die Stadt zu beobachten. Der 2011 gestürzte und getötete Diktator Muammar al-Gaddafi stammte aus Sirte - die Bewohner hegen wenig Sympathie für die von den damaligen Revolutionären mitgetragene Einheitsregierung aus Tripolis.

Erst töteten Bomben 30 türkische Soldaten, dann wurde wieder einhellig verhandelt

Die Türkei dagegen will den von Haftar zurückeroberten Luftwaffenstützpunkt al-Watiyah nahe der Grenze zu Tunesien instandsetzen und in Misrata Marineschiffe stationieren. Die Milizen aus der wohlhabenden Hafenstadt gelten als die kampfstärksten in Libyen und sind Erdoğan ideologisch verbunden. In Syrien hat die Türkei mit ihrem Einmarsch in der letzten von islamistischen Rebellen gehaltenen Provinz Idlib und Teilen der zuvor von den kurdischen YPG-Milizen kontrollierten Gebiete Nordsyriens ihre Interessen gesichert.

Beim Bombardement eines türkischen Militärkonvois Ende Februar in Idlib, nach Einschätzung des US-Militärs von der russischen Luftwaffe ausgeführt, wurden mehr als 30 türkische Soldaten getötet. Wenige Tage später aber vereinbarten Putin und Erdoğan in Moskau wieder eine Waffenruhe. Ein ähnliches Arrangement, das vor allem den geopolitischen Interessen Ankaras und Moskaus dienen würde, bahnt sich für Libyen an. Der Bürgerkrieg wäre dadurch bestenfalls eingefroren.

Das Pentagon zeigt sich alarmiert, dass aus Moskaus informeller Präsenz in Libyen neue Stützpunkte an der Südflanke der Nato entstehen könnten; auch die EU teilt diese Sorge. Präsident Donald Trump hatte 2019 Haftar allerdings bestärkt, auch weil die US-Verbündeten Ägypten und die Emirate ihn unterstützen. Nun machen die USA Druck auf Kairo und Abu Dhabi, die Kooperation mit den Wagner-Söldnern zu beenden - vielleicht zu spät. Moskau setzt nicht auf Haftar allein. Der General hatte Putin im Januar brüskiert, als der Kreml noch vor dem Libyen-Gipfel in Berlin Verhandlungen organisierte. Haftar verließ Moskau, ohne einen Waffenstillstand zu unterzeichnen. Ende Mai telefonierte Lawrow nun auch mit Aguila Saleh Issa, Parlamentspräsident und nach Haftar wichtigster Mann im Osten Libyens.

Die Dynamik scheint in Libyen anders als in Syrien vorerst für die Türkei zu sprechen. Allerdings haben sich die Machtverhältnisse in dem nordafrikanischen Land schon mehr als einmal in kurzer Zeit gedreht. Und noch sind die in Jufrah stationierten russischen Kampfjets nicht im großen Stil Einsätze geflogen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4935995
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.06.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.