Russland:Tödlicher Terror-Einsatz

Mehr als zwölf Jahre nach dem Geiseldrama von Beslan soll Russland wegen des Sturms auf die Schule im Nordkaukasus Schmerzensgeld zahlen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab mehr als 400 Klägern recht.

Menschenrechtsgericht urteilt über Geiseldrama von Beslan

Eine Frau weint neben Fotos von Opfern in Beslan.

(Foto: Yuri Kochetkov epa/dpa)

Mehr als zwölf Jahre nach dem Geiseldrama von Beslan hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Russland wegen "schwerer Versäumnisse" bei der Militäroperation gegen die Geiselnehmer verurteilt. Die Straßburger Richter gaben am Donnerstag 409 Klägern Recht - unter ihnen Überlebende und Angehörige von Opfern. Ihnen soll Moskau Schmerzensgeld zwischen 5000 und 30 000 Euro zahlen - insgesamt rund drei Millionen Euro. Der Kreml reagierte empört.

Am 1. September 2004 hatte ein Terror-Kommando aus drei Dutzend Rebellen eine Grundschule in Beslan in der Kaukasusrepublik Nordossetien überfallen und mehr als tausend Menschen, unter ihnen 800 Kinder, mehrere Tage lang als Geiseln gehalten. Bei der Erstürmung der Schule durch die russischen Sicherheitskräfte am 3. September 2004 waren mehr als 330 Menschen getötet worden, unter 180 Kinder. Bis auf einen wurden auch alle Geiselnehmer getötet. 750 Menschen wurden verletzt.

Laut offizieller russischer Darstellung hatten die pro-tschetschenischen Rebellen vor der Erstürmung Sprengsätze gezündet. Augenzeugen berichteten hingegen, es seien Sprengsätze "außerhalb" der Schule gezündet wurden. Die Beschwerdeführer werfen Russland vor, trotz des Risikos den Sturm auf die Schule angeordnet zu haben. Der Einsatz sei weder sorgfältig vorbereitet noch ausreichend kontrolliert worden. Damit habe es der russische Staat versäumt, das Leben der Geiseln zu schützen.

Dem schloss sich der Gerichtshof weitgehend an. Die Straßburger Richter räumten zwar ein, Russland habe angesichts der unnachgiebigen Haltung der Terroristen - die mehrere Geiseln hingerichtet hatten und Verhandlungen ablehnten - vor einer schwierigen Entscheidung gestanden. Die bei der Erstürmung angewandte Gewalt sei jedoch "unverhältnismäßig" gewesen. So seien ein Sturmgeschütz, Granaten und Flammenwerfer eingesetzt worden, was die Zahl der Opfer unter den Geiseln erhöht habe.

Bei der Vorbereitung und der Kontrolle des Einsatzes habe es zudem "schwere Versäumnisse" gegeben, heißt es in dem Urteil weiter. Außerdem hätten es die Behörden versäumt, die Sicherheitsvorkehrungen an der Schule zu verstärken - obwohl sie "ausreichende Informationen" über ein geplantes Attentat in Nordossetien durch tschetschenische Separatisten gehabt hätten.

Der Gerichtshof rügte auch mangelhafte Ermittlungen nach dem Attentat. So seien die meisten Leichen nicht obduziert worden. Somit sei nicht klar, ob die Opfer durch Schüsse der Geiselnehmer oder der Streitkräfte getötet wurden. Bei einem Drittel der Opfer sei die Todesursache noch heute unklar. Es sei auch nie ermittelt worden, wer für den Einsatz schwerer Waffen verantwortlich war.

Russland kann gegen das Urteil binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Der Kreml kritisierte es scharf. "Für ein Land, das angegriffen wurde, sind diese Formulierungen absolut inakzeptabel", sagte ein Kreml-Sprecher.

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