Balkan:Südosteuropa rückt von Putin ab

Balkan: Milorad Dodik (mit roter Krawatte), führender Politiker der bosnischen Serben, ist einer der letzten halbwegs verlässlichen Verbündeten, die Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Südosteuropa noch hat. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2018.

Milorad Dodik (mit roter Krawatte), führender Politiker der bosnischen Serben, ist einer der letzten halbwegs verlässlichen Verbündeten, die Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Südosteuropa noch hat. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2018.

(Foto: Alexander Shcherbak/Imago/Itar-Tass)

Serbien und Bulgarien sind Russland traditionell eng verbunden. Doch das ändert sich seit dem Angriff auf die Ukraine. Und siehe da: Ein Bruch mit Russland führt nicht zwangsläufig in den Ruin.

Von Tobias Zick

Beinahe hätte er wieder nicht sprechen dürfen vor dem UN-Sicherheitsrat, so wie schon bei dem Termin im vergangenen November: Christian Schmidt, Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft für Bosnien-Herzegowina, wollte seinerzeit seinen Bericht über die besorgniserregende Lage im Land vortragen, über die zunehmenden Destabilisierungsversuche der Führung der bosnischen Serben, mit Rückendeckung aus Moskau. Doch Schmidt durfte nicht sprechen - es war eine der Bedingungen, die Russland gestellt hatte, um der gemeinsamen Resolution des Sicherheitsrats zähneknirschend zuzustimmen: einer Verlängerung des Mandats für die internationale Schutztruppe Eufor-Althea. Die würde Moskau gerne seit Langem abschaffen, ebenso wie das Amt des Hohen Repräsentanten, der über die Umsetzung des Dayton-Abkommens wacht, das 1995 den Bosnien-Krieg beendete.

Vergangenen Mittwoch dann war es wieder so weit. Christian Schmidt wollte seinen jüngsten Bericht zur Lage in Bosnien-Herzegowina im Sicherheitsrat vorstellen. Moskau wollte das verhindern - doch es zeichnete sich ab, dass sich für einen solchen Antrag unter den anderen Sicherheitsratsmitgliedern keine Mehrheit finden würde. Schmidt bekam das Wort erteilt, und er konnte seine Erkenntnisse vortragen: dass die "verfassungsmäßige Ordnung" Bosnien-Herzegowinas bedroht sei, etwa durch das Vorhaben der serbischen Teilrepublik, eine eigene Steuerbehörde, eine eigene Justiz und eine eigene Armee aufzubauen. Langfristig dürfte das de facto in eine Abspaltung münden und, so die Befürchtung vieler Beobachter, blutige Wunden in der Region wieder aufreißen.

Man werde das Dayton-Abkommen entschlossen verteidigen, sagte Schmidt: "Wie werden nicht stillsitzen und zuschauen, wie andere 26 Jahre Frieden, Stabilität und Fortschritt demontieren." Von den anwesenden Vertretern anderer Nationen - mit Ausnahme Russlands und Chinas - bekam Schmidt viele zustimmende Worte. Selbst der Vertreter Serbiens bekannte sich zu "territorialer Integrität" des Nachbarlandes. Alles in allem, sagte Schmidt später der SZ, "war das eine ziemliche Pro-Dayton-Veranstaltung".

Für Serbiens Präsidenten wird die Gratwanderung zunehmend heikel

Milorad Dodik, der führende Politiker der bosnischen Serben, ist einer der letzten halbwegs verlässlichen Verbündeten, die der Kreml in Südosteuropa noch hat. Und es ist fraglich, wie viel Dodik mit seinen Provokationen wirklich erreichen kann. Der Präsident des benachbarten Serbien, Aleksandar Vučić, ist zwar einer seiner wichtigsten Ansprechpartner in der Region, doch der lässt zumindest nach außen keine Unterstützung für Dodiks Sezessionsspielchen erkennen - wohl auch deshalb, weil er weiß, dass er damit sein eigenes Standing in Europa deutlich schwächen würde.

Vučić, dessen Regierung seit Langem eine sprichwörtliche Schaukelpolitik zwischen West und Ost betreibt, weigert sich nach wie vor, sich den europäischen Sanktionen gegen Russland anzuschließen. Andererseits hat das Land einer UN-Resolution zugestimmt, die den Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilt. Für Vučić wird die Gratwanderung zunehmend heikel: Er pflegt seit Langem eine besondere Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin, der ihn mit Gas versorgt und ihn dabei unterstützt, eine internationale Anerkennung der ehemaligen serbischen Provinz Kosovo als souveränen Staat zu verhindern. Andererseits strebt Serbien einen Beitritt zur Europäischen Union an, deren Länder mit Abstand seine wichtigsten Handelspartner sind.

Die traditionell prorussische Stimmung in regierungsnahen serbischen Medien hat sich zuletzt gedreht, seit Putin bei einem Besuch des UN-Chefs António Guterres in Moskau kürzlich auf vermeintliche Gemeinsamkeiten zwischen den Separatistengebieten im Osten der Ukraine und Kosovo hinwies - aus serbischer Sicht ein unsäglicher Vergleich, der Moskau viele Sympathien im Land gekostet hat. Das macht es Vučić innenpolitisch leichter, sich auf die EU zuzubewegen. Am Montag sagte er, man werde "so lange wie möglich" davon absehen, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Es sei aber offensichtlich, dass Serbien aufgrund dieses Kurses viel Geld westlicher Investoren verliere. Kurz darauf sprachen sich sowohl Außenminister Nikola Selaković als auch Parlamentssprecher Ivica Dačić öffentlich für einen EU-Beitritt aus.

Bulgarien wurde von Moskau mit einem Gas-Lieferstopp bestraft, doch das Land weiß sich zu helfen

Ein Beispiel dafür, dass ein Abrücken von Moskau nicht zwangsläufig in den Ruin führt, liefert das benachbarte Bulgarien, das bis vor Kurzem als engster Verbündeter Russlands innerhalb der EU galt. Die aktuelle Regierung von Premier Kiril Petkow hat mit dieser Tradition gebrochen, sich gegen den Kreml gestellt und ist dafür mit einem Gas-Lieferstopp aus Russland bestraft worden.

Doch das Land weiß sich zu helfen: Es bezieht jetzt verstärkt Gas über Griechenland; eine lang geplante Pipeline-Verbindung zwischen den beiden Ländern wird mit Hochdruck fertiggestellt. Dann kann Bulgarien große Mengen Erdgas aus Aserbaidschan beziehen - und auch aus den USA: Nahe der nordgriechischen Hafenstadt Alexandroupoli soll nächstes Jahr ein neues Terminal für Flüssiggas in Betrieb gehen. Anfang Mai weihte Premier Kyriakos Mitsotakis den Bau feierlich ein. Zu Gast waren neben Bulgariens Premier Petkow auch EU-Ratschef Charles Michel - und Serbiens Präsident Vučić.

Während Südosteuropa zusammenrückt, um sich von russischem Gas - und damit einem politischen Druckmittel - unabhängig zu machen, bleibt Moskau freilich noch ein anderer wichtiger Hebel in der Region: Wenn im November wieder der Sicherheitsrat die Verlängerung der Mission Eufor-Althea für Bosnien-Herzegowina beschließen muss, könnte es diesmal seine Zustimmung verweigern. Für den Fall werden in Brüssel und Washington bereits Szenarien durchgespielt - eines davon, das auch durch den Dayton-Vertrag ausdrücklich gedeckt ist: die Eufor-Soldaten durch Nato-Truppen ersetzen. Fraglich, ob dies aus Moskauer Sicht die willkommenere Alternative ist.

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