Russland: Sergej Sobjanin:Ein Sibirier in Moskau

Ein Bürgermeister von Putins und Medwedjews Gnaden: Der als loyal geltende Sergej Sobjanin folgt dem exzentrischen Jurij Luschkow an Moskaus Spitze - obwohl er die Stadt kaum kennt.

Sonja Zekri

Es heißt, er habe diesen Posten nicht gewollt. Und ist das erstaunlich? Ein Sibirier als Bürgermeister in Moskau, da sind Zweifel nur natürlich. Am Ende aber gab Sergej Sobjanin offenbar der Erkenntnis nach, dass der Kreml nur eines weniger mag als den verweigerten Rücktritt eines Beamten: Wenn ein Wunschkandidat gar nicht erst antritt.

Russland: Sergej Sobjanin: Der neue Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin.

Der neue Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin.

(Foto: AFP)

Anders als sein Vorgänger Jurij Luschkow, den der Kreml über Wochen scheibchenweise demontieren musste, gilt Sergej Sobjanin, 52, als loyal, als scheuer Techniker der Macht, vielleicht als farblos, aber dafür skandalfrei. Von eigenen Ambitionen ist nichts bekannt. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er jagt gelegentlich und liebt die Natur.

Nur Moskau kennt er erst seit kurzem. Vor fünf Jahren zog er aus Tjumen in die Hauptstadt, als Stabschef des damaligen Präsidenten Wladimir Putin. Später orchestrierte er für Dmitrij Medwedjew das, was in Russland "Wahlkampf" heißt. Die "Tandemokratie", das Wechselspiel von Premier und Präsident, ist ihm bestens vertraut.

Bereits am Dienstag könnte die Mehrheit der Kreml-Partei Einiges Russland im Moskauer Stadtparlament den Vorschlag von Präsident Medwedjew abnicken, schreiben russische Medien. Dann wäre Sobjanin Herr über eine Stadt, die viele Russen als Staat im Staate sehen und andere als steingewordene Zumutung. Als Bürgermeister müsse er sich sozialen Fragen widmen, forderte Medwedjew, außerdem die Lebensqualität erhöhen, die Korruption bekämpfen und etwas gegen die quälenden Staus unternehmen. Sobjanin nannte die Aufgaben mit einem für ihn charakteristischen Mangel an Enthusiasmus "sehr schwierig, aber lösbar".

Nun gehört der Verkehrskollaps nicht zu den Problemen, mit denen Sergej Semjonowitsch Sobjanin, Sohn eines sibirischen Kosaken aus Njaksimwol bei Tjumen, aufgewachsen ist. Westsibirien ist reich geworden durch Öl und Gas. Wo einst Holzhütten standen, sind Städte emporgewachsen, aber genug Straßen gibt es noch immer nicht: Die Menschen in den Dörfern an Ob und Irtysch fahren im Sommer mit dem Boot in die Stadt und im Winter mit dem Auto über die vereisten Flüsse. Staus sind hier selten.

In Sibirien, wo die Temperaturen unter 40 Grad fallen und die Sommer kurz und mückenreich sind, begann der Aufstieg Sobjanins. Nach Technik- und Jurastudium und Arbeit als Schlosser in einem Walzwerk in Tscheljabinsk am Ural schaffte er es vom Vizechef der Kommunalverwaltung im Bezirk Chanty-Mansysk zum Parlamentssprecher, dann zum Gouverneur des Gebietes Tjumen. 2005 rief ihn Putin, und Sobjanin zog nach Moskau.

Unversöhnliche Putin-, Medwedjew- und Luschkow-Kritiker wie der einstige Vize-Premier Boris Nemzow erkennen auch in Sobjanins Ernennung wenig Positives. Für die Moskauer sei der neue Bürgermeister "superbeleidigend", giftete er. Aber das dürfte Medwedjew weniger beeindrucken als Sobjanins Fähigkeit, Mehrheiten zu beschaffen und sein Treuegelöbnis gegenüber dem Kreml. Die Hauptstadt müsse in die föderalen Machtstrukturen "integriert" werden, so Sobjanin, nur so könne sie das "Vertrauen" der Führung bewahren.

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