Russland:Schwächen in der russischen Spionageabwehr

BRONZE HUMPTY DUMPTY SCULPTURE

Die Hacker nannten sich Schaltaj Boltaj - das ist der russische Name der Kinderbuchfigur "Humpty Dumpty". Ihre Gruppe war in den vergangenen Jahren zu einer Art Wikileaks für Russland geworden.

(Foto: Courtesy of Hugh Smith and Diana Fuller/Associated Press)
  • In Russland sitzen Sergej Michailow und Dmitrij Dokutschajew, zwei hochrangige Mitarbeiter des Zentrums für Informationssicherheit beim Geheimdienst FSB, offenbar in Untersuchungshaft.
  • Sie sollen möglicherweise hinter der Hacker-Gruppe namens Schaltaj Boltaj stecken, die Interna aus dem Kreml, der Regierung und von kremlnahen Geschäftsleuten veröffentlicht hat.
  • Mehrere Parlamentsabgeordnete sollen von der Gruppe mit den Mails erpresst worden sein.

Von Julian Hans, Moskau

Wenige Wochen nachdem Cyber-Attacken im US-Wahlkampf Russland den Ruf einer Hacker-Supermacht eingebracht haben, entblößt eine Reihe von Festnahmen gravierende Schwächen der russischen Spionage-Abwehr im Netz. Seit Dezember sitzen laut Berichten russischer Medien zwei hochrangige Mitarbeiter des Zentrums für Informationssicherheit beim Geheimdienst FSB in Untersuchungshaft. Ein ebenfalls festgenommener Manager des IT-Konzerns Kaspersky Lab soll mit ihnen gemeinsame Sache gemacht haben. Die Behörden ermitteln wegen Landesverrats.

Der Vize-Chef der FSB-Abteilung, Sergej Michailow, und sein Mitarbeiter Dmitrij Dokutschajew seien bereits Anfang Dezember festgenommen worden, berichtet der tendenziell Kreml-freundliche Kommersant unter Berufung auf nicht namentlich genannte Informanten in den russischen Sicherheitsorganen. Darüber, was ihnen genau vorgeworfen wird, gibt es zwei Versionen, die einander nicht ausschließen.

Zunächst spekulierte die oppositionelle Nowaja Gaseta, die Experten für Cyber-Abwehr hätten den US-Sicherheitsbehörden möglicherweise jene Informationen geliefert, die die Amerikaner so sicher machten, dass hinter Hacker-Angriffen auf Wahl-Computer in den Bundesstaaten Arizona und Illinois tatsächlich russische Dienste steckten. Der Leiter der Abteilung für die Abwehr von Kriminalität im Internet bei Kaspersky Lab habe dafür die Kontakte hergestellt und Geld kassiert.

Schaltaj Boltaj veröffentlichte Mails aus dem Kreml

Mittlerweile verdichten sich die Indizien für die zweite Version. Demnach steckten Michailow und Dokutschajew hinter einer Hacker-Gruppe mit dem Namen Schaltaj Boltaj, die seit drei Jahren Interna aus dem Kreml, der Regierung und von Kreml-nahen Geschäftsleuten veröffentlichte. Über die Landesgrenzen hinaus bekannt machte sie die Veröffentlichung interner E-Mails eines als "Troll-Fabrik" bekannt gewordenen Unternehmens in Sankt Petersburg. Dort kommentieren Mitarbeiter im Akkord Blogs, Nachrichtenseiten und soziale Netzwerke, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die Süddeutsche Zeitung wertete die Daten im Juni 2014 aus. Aus den E-Mails ging hervor, dass der Petersburger Gastronomie-Unternehmer Jewgenij Prigoschin die Troll-Fabrik unterhält. Sein Geld verdient er unter anderem mit lukrativen Aufträgen zur Verpflegung der russischen Streitkräfte und mit Staatsbanketten, was ihm den Spitznamen "Putins Koch" einbrachte.

Schaltaj Boltaj ist der russische Name der Figur Humpty Dumpty, ein Ei auf Beinen, das Lewis Carroll in "Alice hinter den Spiegeln" auftreten lässt. Die Gruppe war in den vergangenen Jahren zu einer Art Wikileaks für Russland geworden - wenngleich ohne schillernden Anführer vom Schlage eines Julian Assange. Die Plattform veröffentlichte den privaten Mail-Verkehr von Premierminister Dmitrij Medwedjew, seinem Vize Arkadij Dworkowitsch, von Mitarbeitern des Kreml und des Verteidigungsministeriums. 2013 erschien der Wortlaut von Wladimir Putins Neujahrsansprache einige Stunden vor der Ausstrahlung auf der Seite der Hacker.

Laut russischen Medien haben die Hacker Abgeordnete der Duma erpresst

Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, hat Schaltaj nun doch ein Gesicht bekommen. Allerdings eignen sich die Geheimdienstler weniger für eine Heldenrolle als Assange oder der in Moskau untergeschlupfte Edward Snowden. Denn mit einem selbstlosen Kampf für Informationsfreiheit lässt sich ihr Wirken nicht erklären. Mehrmals wurden Datensätze Prominenter versteigert. Auf diese Weise bekamen die Betroffenen eine letzte Chance, eine Veröffentlichung zu verhindern.

Russische Medien berichteten vergangenes Jahr, mehrere Abgeordnete der Staatsduma seien von Schaltaj erpresst worden: Entweder sie bezahlten, oder vertraulicher Schriftverkehr komme an die Öffentlichkeit. Seitdem Mitte Dezember ein vierter Beschuldigter festgenommen wurde, ist der Twitter-Account der Gruppe @b0ltai verstummt.

Rivalen in der eigenen Behörde

Zumindest Dokutschajew ist kein Unbekannter. Bevor der heute 32-Jährige seine Laufbahn zum Major des FSB einschlug, hatte er sich in Hacker-Kreisen mit Einbrüchen in IT-Strukturen der US-Regierung einen Namen gemacht. Unter Pseudonym schrieb er eine Kolumne in der Zeitschrift Hacker. Laut dem Nachrichten-Portal RBC soll er des Diebstahls von Kreditkarten-Daten überführt worden sein. Vor die Wahl gestellt, eine Lagerhaft zu verbüßen oder sein Talent dem Geheimdienst zur Verfügung zu stellen, habe er sich für Letzteres entschieden. Sollten die Vorwürfe stimmen, hätte ihn die kriminelle Energie auch in der neuen Funktion nicht verlassen.

Auf die Spur gekommen sind den mutmaßlichen Geheimnisverrätern möglicherweise Rivalen in der eigenen Behörde: Im FSB gibt es außer dem Zentrum für Informationssicherheit noch ein Zentrum zum Informationsschutz. Dessen Leiter soll laut Nowaja Gaseta dem Finanzinvestor Konstantin Malofejew nahestehen, der als Finanzier der Kämpfer im Donbass auf der Sanktionsliste der EU steht und in Diensten des Militärgeheimdienstes stehen soll. Schaltaj hatte E-Mails von Malofejew mit dem rechten Ideologen Alexander Dugin veröffentlicht. Die Nachricht über die Festnahme der FSB-Männer war zuerst auf einem nationalistischen Internet-Portal erschienen, das von Malofejew finanziert wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: