Kampf gegen den IS:Putins erste Schritte aus der Isolation

Barack Obama, Vladimir Putin

Sie reden wieder miteinander: Russlands Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Barack Obama auf dem G-20-Gipfel in Antalya

(Foto: AP)

Plötzlich ist von einem gemeinsamen Kampf die Rede - Russland und der Westen, gemeinsam gegen den IS. Das ist eine Chance, das wegen der Ukraine-Krise zerrüttete Verhältnis zu verbessern.

Kommentar von Frank Nienhuysen

Russland kennt seine Kriegswunden, und es sind nicht nur die stillen Begräbnisse von Soldaten, die in ihrem offiziellen Urlaub im Osten der Ukraine mitgemischt haben. Es sind auch Tschetschenien-Veteranen, die sich mit ihren Beinstümpfen und in grüner Armeejacke durch die Moskauer Metrozüge betteln.

Als der Kreml sich für Luftangriffe in Syrien entschied, war dieser Einsatz also von vornherein sehr heikel. Dass der Preis dafür schnell so derart hoch sein würde, hätten wohl aber auch die größten Pessimisten nicht gedacht: der von Islamisten herbeigebombte Absturz einer russischen Passagiermaschine mit mehr als 200 Toten. Aber Russland hat neu nachgedacht, und der Terror von Paris hat dazu beigetragen. Russland ändert seine Taktik, in Syrien und im Verhältnis mit dem Westen.

Auf allen Kanälen und mehr denn je beschwört Moskau nun neue Partnerschaften. In einer geradezu staatstragenden Erklärung ruft der Föderationsrat die ausländischen Parlamente zu einem gemeinsamen und breiten Kampf gegen den Terror auf, vor allem aber: Wladimir Putin deklariert Frankreich kurzerhand zu seinem Verbündeten beim Syrien-Einsatz. Es ist dies eine Form von Appeasement, in der aus Moskauer Sicht Emotionen der Solidarität, taktisches Kalkül und die Interessen des Westens auf idealtypische Weise zusammenfallen. Deswegen hat diese Annäherung auch eine Chance.

Moskau nähert sich im Kampf gegen den IS dem Westen an

Europäer und Amerikaner können für einen Erfolg gegen den "Islamischen Staat" eine entschlossene und ausgedehnte russische Angriffshaltung in Syrien mehr denn je gebrauchen. Vorausgesetzt: Sie richtet sich diesmal wirklich gegen die Schergen des IS. Koordinieren Moskau, Paris und die von Amerika geführte Koalition ihre Schläge gegen Raqqa und andere Refugien der Dschihadisten, dürften diese schnell in Bedrängnis geraten und von ihrem grausamen Mythos verlieren. Vor allem zwischen Russen und Amerikanern überwiegt derzeit noch das Misstrauen; Frankreichs Präsident François Hollande wird deshalb mit seiner Tour nach Washington und Moskau beide Mächte zu einem Schulterschluss bewegen wollen.

Auch für Russland bietet sich eine große Gelegenheit: Das Land könnte sich aus der Isolation befreien, in die es sich mit der Annexion der Krim und der Unterstützung der ukrainischen Separatisten selber gebracht hat. Der diplomatische und wirtschaftliche Konflikt mit dem Westen hat nicht zuletzt auch zum ökonomischen Niedergang Russlands beigetragen. Ohne Hilfe der Europäer wird Russland die Wende kaum schaffen. Aber diese Hilfe könnte näher rücken. Denn ein starkes Anti-Terror-Bündnis, und das liegt sicher im Moskauer Kalkül, dürfte die Stimmung im Westen verändern. Auch die Sanktionsstimmung. Gerade Frankreich hatte sich zuletzt schon eine weichere Linie vorstellen können, sollte es im Ukraine-Konflikt Fortschritte geben. Das Minsk-Abkommen ist zwar weit davon entfernt, umgesetzt zu werden; sollte es aber Russland in Syrien ernst meinen mit dem Bündnis gegen den Dschihad, wird es den Europäern wohl immer schwerer fallen, das eine vom anderen zu trennen. Dennoch sollte klar sein: Die Ukraine dürfen sie nicht in einem Handel opfern.

Russland kann es sich jedenfalls leisten, auf den Westen zuzugehen - es hat viele Ziele schon erreicht. Es hat sich in Syrien militärisch niedergelassen; es wird über einen Übergang in Damaskus mitbestimmen; es hat bei alldem sein Verhältnis zum einflussreichen Nahost-Partner Iran gefestigt. Und jetzt die geradezu symbolträchtige Hollande-Reise: Erst Washington, dann Moskau - Russland spürt wieder ein Großmachtgefühl. Eine neue Partnerschaft mit dem Westen ist schwerer zu erreichen. Den Terror als gemeinsamen Feind zu definieren, ist dafür nur ein erster Schritt.

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