EU und Russland:"Strategische Ermattung" bei Sanktionen

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Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis sieht noch Potenzial für weitere Strafmaßnahmen gegen Moskau. (Foto: Carsten Koall/dpa)

Neue Strafmaßnahmen gegen Russland könnten scheitern, denn die Einigkeit der EU-Mitgliedstaaten bröckelt. Das Treffen der Außenminister offenbart wachsende Meinungsverschiedenheiten.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Acht Sanktionspakete hat die EU seit dem Angriff auf die Ukraine gegen Russland verabschiedet - jedes Mal haben alle 27 Mitgliedsländer geschlossen für die Strafmaßnahmen gestimmt. Doch inzwischen bröckelt die geeinte Front. Während einige EU-Staaten vehement eine neunte Sanktionsrunde fordern, argumentieren andere Regierungen, dass die Union mehr oder weniger das Ende ihrer Möglichkeiten erreicht habe. Schon die letzten beiden Pakete seien wegen der vielen Ausnahmen für einzelne Staaten "so löchrig wie ein Emmentaler Käse" gewesen, sagt ein Diplomat. Besserung sei nicht zu erwarten.

Bei manchen EU-Regierungen stößt diese pessimistische Diagnose dagegen auf heftige Widerrede. Zu der Gruppe der Länder, die für weitere und möglichst harte Sanktionen eintreten, gehören insbesondere Polen und die drei baltischen Staaten - Estland, Lettland und Litauen -, aber auch Finnland und Irland. "Es gibt diejenigen, die sagen, wir hätten schon alles Wichtige mit Sanktionen belegt, da ist nichts mehr übrig", sagte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis am Montag vor einem Treffen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel. "Aber das weise ich zurück."

Der estnische Außenminister Urmas Reinsalu äußerte sich am Montag ähnlich. Es gebe durchaus noch Raum für neue Sanktionen, sagte er. Die EU könnte etwa das berüchtigte russische Söldner-Unternehmen Wagner Group, das Kämpfer in die Ukraine geschickt hat, als Terrororganisation einstufen. Das gelte auch für alle Moskau-treuen Milizen, die in der Ukraine kämpften. "Das sind alles terroristische Stellvertreterorganisationen", sagte Reinsalu.

Belgien sperrt sich gegen ein Importverbot für Diamanten

Litauen und Estland haben bereits vor einigen Wochen zusammen mit anderen Ländern Vorschläge für ein neuntes Sanktionspaket vorgelegt. Darin ist unter anderem ein Importverbot für Diamanten aus Russland enthalten - eine Strafmaßnahme, die bisher stets am Widerstand Belgiens gescheitert ist. Das Zentrum der europäischen Diamantenindustrie befindet sich in Antwerpen, mit russischen Edelsteinen werden dort zig Millionen umgesetzt.

Zudem sperrt sich Ungarn - das am offensten prorussische Land in Osteuropa - dagegen, die Energiesanktionen nennenswert zu verschärfen. Wegen des Einspruchs aus Budapest sind zum Beispiel bislang alle Versuche gescheitert, die Zusammenarbeit mit Russland bei der zivilen Atomkraft zu verbieten. Auch dass wegen des ungarischen Widerstands ein so offensichtliches Sanktionsziel wie die Gazprombank, eins der größten Geldinstitute Russlands, immer noch nicht mit Strafen belegt wurde, sei "eigentlich ziemlich schockierend", sagt ein Diplomat.

Beim Treffen der EU-Außenminister am Montag kam es zu einem Wortgefecht zwischen der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock und ihrem ungarischen Kollegen Péter Szijjártó. Nach Angaben aus diplomatischen Kreisen beschwerte sich der Ungar in der Sitzung, dass die EU-Sanktionen gegen Russland bisher nicht dazu beigetragen hätten, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Baerbock habe "sehr eisig" erwidert, dass niemand das erwartet habe und sie solche Behauptungen nicht hören wolle. Der Litauer Landsbergis warf Szijjártó sogar vor, im EU-Außenministerrat russische Propaganda zu verbreiten. Das sei inakzeptabel.

Angesichts derart scharfer Meinungsverschiedenheiten unter den EU-Mitgliedern haben Diplomaten in Brüssel keine allzu großen Erwartungen, was ein eventuelles neuntes Paket mit Strafmaßnahmen angeht. "Langsam macht sich so was wie strategische Ermattung breit - immer mehr Länder wollen für sich selbst Ausnahmen bei den Sanktionen rausverhandeln", beklagt ein Diplomat aus einem Land, das härtere Strafen für Moskau befürwortet. "Das ist sehr enttäuschend. Manche Leute glauben vielleicht, dass wir irgendwann zur Normalität mit Russland zurückkehren können. Aber das ist eine sehr falsche Vorstellung."

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Die unterschiedlichen Vorstellungen in der EU dazu, wie harsch man Moskau anpacken soll, sind zudem nicht auf wirtschaftliche Fragen beschränkt. Auch bei politischen Strafen mangelt es der Union an Geschlossenheit. So gibt es bisher keine Einigung darüber, die Forderung der Ukraine nach einem internationalen Sondertribunal zu unterstützen, das den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine untersuchen und den Verantwortlichen den Prozess machen soll. Man versuche derzeit, eine "Kerngruppe" von EU-Ländern zu bilden, die diesen Plan vorantreiben, sagte Litauens Außenminister Landsbergis am Montag. "Kerngruppe" allerdings heißt: Nur ein Teil der EU-Länder macht mit.

Einem baltischen Diplomaten zufolge könnte ein Sondertribunal ein Weg sein, um eine juristische Basis zu schaffen, auf der russisches Staatseigentum im Westen beschlagnahmt und für den Wiederaufbau der Ukraine verwendet werden könnte. Allerdings ist unklar, auf welcher völkerrechtlichen Grundlage ein solches Gericht eingerichtet werden soll. Eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, wie es sie im Fall der Sondertribunale für Jugoslawien und Ruanda gab, ist kaum denkbar - dort besitzt Russland ein Vetorecht.

Im westlichen Teil der EU ist die Unterstützung für ein Ukraine-Tribunal hingegen deutlich geringer. Dem Vernehmen nach ist vor allem Frankreich gegen die Idee. Auch Deutschland hat bisher auf die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag verwiesen.

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